- zurück zur Auswahl -

Das Prinzip der Gegenoffensive

Parchim, den 2. November 2012

Auf „Altermedia“ wird zur Zeit ein Artikel diskutiert, dessen Auslöser
von großer strategischer Bedeutung sein kann. Die Schriftleitung zeigt
schon mit ihren einleitenden Worten, daß sie das offenbar nicht
realisiert hat oder aber es ihr egal ist. Allein die Überschrift „...
dem Nachwuchs eine Chance“ dokumentiert das. Die Schriftleitung hängt
sich an dem Umstand auf, daß es ein „Nachwuchsjurist“ ist, der der NPD
die Empfehlung zur Gegenoffensive erteilt hat. Als ob das Alter eines
Juristen gleichbedeutend wäre mit seiner Qualifikation. Sicherlich hat
es Vorteile, wenn ein Jurist schon auf ein längeres Berufsleben
zurückblicken kann; das bringt Routine. Aber Routine kann zugleich auch
eingefahrene Gleise bedeuten, und das ist sicherlich nicht immer
förderlich. Ein junger Mann hingegen kann engagiert und idealistisch
sein; er kann kreativ auf Ideen kommen, die der altgediente Routinier
ohne genauere Prüfung ablehnt, weil eben die lange Berufserfahrung ihn
förmlich abgestumpft hat.

Der Tendenz der Überschrift folgend, meint die Schriftleitung schon im
ersten Satz, daß sie zunächst dachte, es hier mit einer Satire zu tun zu
haben, dann aber von der Realität eingeholt wurde, als sie –
journalistischer Sorgfaltspflicht folgend – nachforschte.

Im nächsten Satz hingegen bringt die Schriftleitung – absichtlich oder
eher zufällig – ein Stichwort von entscheidender Bedeutung: „... eine
Gegenmaßnahme zu den ständigen Verbotsforderungen.“ Die Erkenntnis, mit
was man es hier genaugenommen zu tun hat, wird jedoch sogleich
untergraben dadurch, daß man die Unabhängigkeit des BVerfG (nicht BVG,
wie auf „Altermedia“ irrig geschrieben) infrage stellt und
unterschwellig anklingen läßt, der, der noch daran glaube, sei wohl
nicht wirklich von dieser Welt. Pointiert meint die Schriftleitung
letztlich, man könne es auch so formulieren: „NPD möchte sich selbst
verbieten.“

Und nachdem man diese eher spöttelnde als sachgerechte Einleitung von
sich gegeben hat und die Frage gestellt hat, was das geneigte Publikum
davon halte, kommt dann die Kopie eines internen Rundschreibens der NPD
an die Parteivorstandsmitglieder, daß diese sich bitte zur Frage eines
„Negativen Verbotsantrages“ äußern mögen.

Konkret wird in dem Rundschreiben gefragt: „...ob beim
Bundesverfassungsgericht der Antrag gestellt werden soll, festzustellen,
daß die NPD nicht verfassungswidrig ist. Hilfsweise soll beantragt
werden, dieses Verfahren in ein Organstreitverfahren umzuwandeln, damit
wir schnellstens zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kommen.“

Interessant ist übrigens, daß der sogenannte „Rechtsextremismusexperte“
Marc Brandstetter auf „Endstation rechts“ mehr oder minder ins gleiche
Horn stößt wie „Altermedia“. Zwar benutzt auch er das Wort „Offensive“
(bezogen auf die NPD, was also richtig heißen müßte: „Gegenoffensive“),
aber schon seine Überschrift suggeriert ein anderes Verständnis: „Die
letzte Patrone der NPD.“ Na, wenn so verschiedene Quellen wie
„Altermedia“ und „Endstation rechts“ sich mal einig sind, das ist eine
echte Seltenheit!

Betrachten wir diese Angelegenheit mal ohne sinnlosen Spott und
Voreingenommenheit aus juristischer ebenso wie aus politischer Perspektive.

Die Weimarer Republik hat sich auf völlig demokratische Weise abschaffen
lassen. Ihre Quasi-Nachfolgerin, die Republik von Bonn und später die
von Berlin, auch als Bundesrepublik bekannt, hat sich selbst geschworen,
so etwas nie, nie, niemals wieder zulassen zu wollen. Man hat sich daher
als streitbare Demokratie definiert und hat bereits im Jahre 1949 in das
Grundgesetz die Möglichkeit eines Parteiverbotes (gem. Art. 21 GG)
aufgenommen. Neben anderen Einschränkungen (der niemals angewandten
Vorschrift, daß einzelnen,die Republik gefährdenden Menschen vom
Bundesverfassungsgericht gem. Art. 18 GG Rederecht, Versammlungsrecht
u.ä. aberkannt werden kann) soll dieser Art. 21 GG „das schärfste
Schwert“ der Republik sein, sich selbst zu schützen. Ein sprachlicher
Anklang an die DDR-Stasi als „Schild und Schwert“ des Arbeiter- und
Bauernstaates ist rein zufällig. Denn in der BRD ist nur das
Höchstgericht, das BVerfG, befugt, dieses Schwert zu schwingen, und nur
drei Verfassungsorgane, Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, können
das Höchstgericht auffordern, es aus der Scheide zu ziehen.

Dies ist – mit nachfolgender Enthauptung des parteilichen Delinquenten –
erst zweimal in der Rechtsgeschichte der BRD passiert, 1952 mit der
Sozialistischen Reichspartei (SRP) und 1956 mit der Kommunistischen
Partei Deutschlands (KPD). Darüber hinaus hat es drei Anträge gegeben,
das Schwert zu ziehen. Einmal waren das im Jahre 1993 Anträge gegen die
Freiheitliche Arbeiterpartei Deutschlands (FAP) und gegen die Nationale
Liste (NL), die wegen Wahlteilnahmen zunächst einmal als Parteien im
Sinne des Grundgesetzes erschienen, und sodann 2001 gegen die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Bezüglich der FAP und
der NL erklärte sich das Bundesverfassungsgericht für nicht zuständig,
weil es nach etwa anderthalbjähriger Prüfung der Meinung war, mangels
Umfang und Festigkeit der Organisation, Zahl der Mitglieder und
Hervortreten in der Öffentlichkeit seien die genannten beiden
Organisationen keine Parteien im Sinne des Art. 21 GG. Sie wurden daher
nach dem Vereinsgesetz von den Innenministerien des Bundes bzw. des
Bundeslandes Hamburg verboten. Im Falle der NPD wurde das Verfahren im
Jahre 2003 aus formalistischen Gründen eingestellt, weil eine Minderheit
der Richter in der Durchsetzung der NPD mit V-Leuten des
Verfassungsschutzes einen Mangel an „Staatsferne“ sahen, mit anderen
Worten, keine wirkliche Eigenständigkeit.

Das sind die äußeren Fakten.

Sie allein sind aber nicht entscheidend. Entscheidender kann die
politische Bedeutung der Vorschrift und ihre Anwendung oder eben
Nicht-Anwendung sein.

Mir persönlich ist nicht bekannt, wann das erste Mal die Möglichkeit
eines Verbotes der NPD gem. Art. 21 in die politische Diskussion
eingebracht worden ist. Nach ihrer Gründung im Jahre 1964 dürfte das
spätestens 1968 der Fall gewesen sein, als die NPD mit einem
Wahlergebnis von 9,8 Prozent in den Landtag von Baden-Württemberg
eingezogen war. Im Vorfeld der Bundestagswahl von 1969 war die NPD in
insgesamt sieben von damals zehn westdeutschen Landesparlamenten
vertreten. (Zwar hatte die Alt-BRD des Jahres 1969 elf Bundesländer,
aber Berlin hatte einen Sonderstatus, und aufgrund des alliierten
Kontrollratsstatus durfte die NPD in Berlin nicht antreten.)

Niemand kann genau sagen, in welchem Maße das Damoklesschwert eines
möglichen Parteiverbotsverfahrens mit anschließendem Verbot Einfluß auf
den Ausgang der Bundestagswahl 1969 gehabt hat. Ob sich ohne diese
Drohung statt 4,3 Prozent der Wähler so viel mehr für die NPD
entschieden hätten, daß dieser der erstmalige Einzug in den Deutschen
Bundestag und damit die politische Stabilisierung ihrer bis dahin
errungenen Erfolge gelungen wäre oder nicht. Das ist möglich, aber nicht
sicher.

In den nachfolgenden Jahren zerlegte die NPD sich so rapide, daß es an
einem Parteiverbot kein ernsthaftes Interesse mehr gab. Zwar erhoben vor
allem notorisch linke Kreise immer wieder mal diese Forderung, aber
etablierte und ernstzunehmende Politiker winkten allenfalls müde ab –
wer schießt schon mit Kanonen nach Spatzen?!

Ab 1996 begann der zunächst langsame Wiederaufstieg der NPD aus ihrem
tiefsten Tal völliger Bedeutungslosigkeit und der zeitweiligen
Überrundung durch gemäßigtere „auch-rechte“ Konkurrenten wie DVU und
REPUBLIKANER.

Und damit wurden dann auch Verbotsforderungen häufiger.
Anfang 2001 war es so weit, daß die insgesamt fünfte Aufforderung an das
Bundesverfassungsgericht erging, dieses „scharfe Schwert“ zu schwingen.
Und wie bei den beiden vorherigen Malen – FAP und NL – lehnte das
Bundesverfassungsgericht aus formalen Gründen ab. Allerdings nicht – wie
bei FAP und NL – zum Nachteil der Betroffenen; denn Zweifel an der
Parteieigenschaft der NPD bestanden nicht.

Ob die Begründung - „mangelnde Staatsferne“ - der eigentliche Grund des
bundesdeutschen Höchstgerichts war, ist zweifelhaft. Denn es könnte
genausogut eine Art Notausstieg aus der ganzen Sache gewesen sein. Gut
einen Monat, bevor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das
Verfahren gegen die NPD eingestellt hat, gab es nämlich eine
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in
Straßburg (Straßbourg). Es ging um die türkische „Refasi-Parti“, die
„Wohlfahrtspartei“, die islamistisch geprägt war und der der türkische
Staat vorwarf, sie wollte die säkulare Struktur der Türkei ändern und
aus der Türkei einen islamistischen Staat machen. Der EGMR bestätigte
das Verbot der „Refasi-Parti“, allerdings ausdrücklich nur deshalb, weil
diese in der Türkei von Wahlergebnissen und Anhängerschaft her dermaßen
einflußreich war, daß sie tatsächlich eine Änderung der türkischen
Verfassung und damit der säkularen Struktur hätte herbeiführen können.

Im Umkehrschluß ergibt sich aus dieser Entscheidun des EGMR (und
späteren): Sofern eine Partei nur eine „abstrakte“ und keine konkrete
Gefahr für den Bestand eines demokratisch verfaßten Gemeinwesens
darstellt, kann sie deshalb nicht verboten werden. Andere europäische
Staaten haben eben nicht die schmerzliche Erfahrung der
Selbstabschaffung der Weimarer Republik gemacht. Oder, soweit
vergleichbare Ereignisse (beispielsweise in Frankreich) stattgefunden
haben, dann mit deutlich weniger drastischen Folgen als im Deutschland
der 30-er und 40-er Jahre.

Man wird diese Entscheidung des EGMR in Karlsruhe gelesen haben. Man
wird – obwohl die damaligen Richter des Zweiten Senats wahrscheinlich
eher zu einem Verbot der NPD tendiert haben als dafür, ihr einen
„Persilschein“ auszustellen und den Mangel an Verfassungswidrigkeit
festzustellen – befürchtet haben, daß eine solche Entscheidung in
Straßburg wieder aufgehoben werden könnte. Was nicht zuletzt sowohl für
die BRD insgesamt als auch für deren Höchstgericht eine sehr
unwillkommene Ohrfeige gewesen wäre. Es hätte dem internationalen
Ansehen der BRD wohl weit mehr geschadet, als das NPD-Verbot im Sande
verlaufen zu lassen.

Die NPD rühmte sich danach zumindest intern der „Unverbietbarkeit“. Auch
das ein zweischneidiges Schwert; denn es war mit dem Eingeständnis
verbunden, daß diese „Unverbietbarkeit“ zumindest formal nur auf der
Durchsetzung ihrer Vorstandsebene mit V-Leuten verbunden war.

Als nur anderthalb Jahre nach Einstellung dieses Verbotsverfahrens die
NPD erstmals nach 36 Jahren wieder in einen deutschen Landtag einzog,
nährte sie damit natürlich neuerliche Verbotsbegehrlichkeiten.
Insbesondere zur Füllung medialer Sommerlöcher war das Thema sehr
beliebt; oder auch dafür, daß sich Hinterbänkler etablierter Parteien
ein klein wenig profilieren konnten. Angesichts des über alle
Parteigrenzen in den Parlamenten (exklusive Sachsen und später
Mecklenburg-Vorpommern) reichenden „Konsenses der Demokraten“ kann
eigentlich kein Politiker mit der Forderung nach einem Verbot der NPD
was falsch machen. Auch von Parteien, die ihrerseits als rechtsradikal
oder gar rechtsextrem verschrieen sind, kommen solche Forderungen
bisweilen. In dem Fall beruhen sie allerdings wohl eher auf der
Hoffnung, eine gewissermaßen lagerinterne Konkurrenz beseitigt zu sehen.

Und dann kam die herbeigeschriebene Zäsur des 4. November 2011, des
Auffliegens der „Zwickauer Zelle“, des angeblich so beispiellosen
Terrors einer rechtsextremsten Kleingruppe, der zehn Morde nachgesagt
werden. (Wie viele Angehörige hatte eigentlich die RAF? Und wie viele
Tote gehen eigentlich auf das Konto der RAF?)

Reflexhaft wurde als Allheilmittel gegen das Entstehen neuer
Terrorzellen nach einem NPD-Verbot gerufen; obwohl jeder nur halbwegs
taugliche Sicherheitsexperte erzählen könnte, daß gerade solche
repressiven Maßnahmen das Entstehen von Radikalisierung bis hin zum
Abdriften in Untergrund und Terrorismus eher befördern als verhindern.

Was dann folgte, war beinahe kabarrettreif; auf einer anderen,
intellektuelleren Ebene erinnerte es ein wenig an eine Hängepartie oder
so eine Art „Ewiges Schach“. (Für Nicht-Schachspieler: „Ewiges Schach“
ist die Methode, mit der sich der unterlegene Spieler bei entsprechender
Konstellation noch in ein Unentschieden retten kann, wenn er eben die
Möglichkeit hat, dem feindlichen König mit jedem Zug immer wieder Schach
bieten zu können, ohne daß dieser seine ansonsten den Sieg garantierende
Materialüberlegenheit ausspielen kann.)

Bei früheren Verbotsdiskussionen beglückte man das lesende Publikum mit
einem politischen „pro und contra“. Inzwischen hat es sich hauptsächlich
auf ein juristisches „pro und contra“ reduziert; eben auf die Frage, ob
die NPD überhaupt erfolgreich verbietbar ist oder nicht. Der Konsens der
herrschenden Parteien ist: Wir möchten es alle. Aus Gründen der
politischen Hygiene. Aber die, die es nicht ganz so dringend möchten,
warnen vor der Gefahr eines neuerlichen Scheiterns des Verfahrens. Und
die, die es besonders dringend möchten, interessiert diese Gefahr nicht
oder sie versuchen sie kleinzureden. Nach dem Motto: Dann haben wir es
wenigstens versucht und stehen als anständig da, auch wenn wir verloren
haben sollten.

Der Hintergedanke bei all dem ist: Das ständige Herumgerede um ein
angeblich von der Sache her mögliches, allenfalls aus formellen Gründen
ungewisses Verbot ist der schiere Terror. Nämlich gegen die Partei, die
davon betroffen ist.

Hier ist nicht allein daran zu denken, daß es innere Stressoren sind,
die man damit auslöst. Insbesondere ist es nach außen hin eine
systematische Demontage. Man redet eine solche Partei in die
Unwählbarkeit hinein. Dabei spielt noch nicht einmal eine Rolle, daß die
NPD hin und wieder durchaus erfolgreiche Anstrengungen unternimmt, sich
selbst unwählbar zu machen oder zumindest ihre Attraktivität beim
Wähler, dem unbekannten Wesen, zu mindern. Das ist ihr eigenes Problem.
Wenn ich meine, gegen eine Wand boxen zu müssen, und mir dabei die Hand
breche, dann ist das nichts anderes als Selbstverletzung, und die ist
nicht strafbar, solange nicht Krieg herrscht und ich als Soldat wegen
Selbstverstümmelung angeklagt werden könnte. Wenn aber ein anderer
meint, mir einen Ziegelstein auf die Hand schlagen zu müssen und mir
damit die Knochen bricht, dann ist das schwere Körperverletzung und
strafbar. Und mir steht für eine solche unfreundliche und schmerzhafte
Behandlung Schmerzensgeld zu.

Fraglich ist natürlich, ob der aufgezeigte Weg zielführend ist, rein
formell-juristisch gesehen.

Auch ohne „Nachwuchs“ oder „Jurist“ zu sein, kam mir ein vergleichbarer
Gedanke im Frühjahr. Ich stellte mir allerdings einen anderen Weg vor.
Eine Verpflichtungsklage gegen die drei antragsberechtigten
Verfassungsorgane vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. (Bei
Bundesregierung und Bundestag ist es das VG Berlin; beim Bundesrat wäre
es zur Zeit das VG Stuttgart, weil der derzeitige Präsident des
Bundesrates der Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist und dieser
seinen Amtssitz in Stuttgart hat.) Verpflichtungsklage mit dem Begehren,
die Verfassungsorgane – alle drei gemeinsam und jedes einzeln für sich –
zu verpflichten, binnen einer vom Gericht zu setzenden, angemessenen
Frist den Verbotsantrag gem. § 43 BVerfGG zu stellen. Man begründet das
auf der Basis von Art. 19 Abs. 4., demzufolge – sinngemäß zitiert –
jedem, der von der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt ist,
der Rechtsweg offen steht. Die Darlegung, daß die ständigen
Verbotsforderungen von Politikern, die regelmäßig Bestandteil der
öffentlichen Gewalt (Regierung oder Parlament) sind, eine Verletzung
darstellen, sollte auch für weniger erfahrene Juristen kein Hindernis sein.

Die – hilfsweise – Alternative des Organstreitverfahrens ist auch nicht
abwegig. Parteien im Sinne des Art. 21 sind organstreitfähig, wie das
Bundesverfassungsgericht schon in den 50-er Jahren in einer
Plenumsentscheidung (gemeinsame Entscheidung beider Senate) festgestellt
hat.

Wenn man „aus allen juristischen Rohren feuern“ will, kann man sogar
beides parallel zueinander machen. Kostet dann ein bißchen mehr Zeit und
Mühe, vielleicht auch ein wenig in den Sand gesetzte Gerichtskosten,
aber so völlig mittellos ist die NPD ja nun trotz aller finanzieller
Rückschläge und Engpässe auch nicht.

Die Frage, ob oder zu welchem Ergebnis ein solcher Antrag führt, mag
dabei für Fachleute interessant sein; tatsächlich ist sie zweitrangig.

Denn ebenso, wie die ständigen Verbotsforderungen ein politisches
Instrument der Terrorisierung sind, wäre eine solche Gegenoffensive –
von der Schriftleitung von „Altermedia“ verharmlosend „Gegenmaßnahme“
genannt – natürlich in erster Linie ein politischer Schritt.

Anders, als die Schriftleitung von „Altermedia“ in ihrer offenbar
unpolitischen oder sehr eingeschränkten politischen Sicht meint, ist das
beileibe nicht als der Wunsch zu verstehen, sich selbst verbieten zu
lassen. Es ist stattdessen das Signal: Wir fürchten eine solche
Diskussion nicht! Die, die uns beschuldigen, verfassungswidrig zu sein,
sind die wahren Verfassungsfeinde; sie nehmen sowohl uns als auch weiten
Teilen des Volkes immer mehr die jeweiligen verfassungsmäßigen Rechte;
sie und nicht wir sind es, die ständig Ohrfeigen vom bundesdeutschen
Höchstgericht bekommen und auf den juristisch rechten Weg zurückgeholt
werden müssen. Im Prinzip sind sie die Diebe, die „haltet den Dieb!“
rufen, um von ihren eigenen Diebstählen abzulenken. Sie sind es, die
bekennendermaßen nicht „mit dem Grundgesetz unter den Kopfkissen
schlafen“, aber andere zwingen wollen, das Grundgesetz zu fressen, jeden
Morgen mit einem kleinen Becher Milch und ein oder zwei Löffeln Müsli,
bis nicht das Grundgesetz, sondern ihre Verlogenheit uns zum Kotzen
bringt und sie dann schreien: „Sehr, welche Verfassungsfeinde!“

Aber nicht nur nach außen hin macht eine Gegenoffensive sehr wohl Sinn.
Auch nach innen hin kann sie für die derzeitige NPD-Führung nützlich
sein, möglicherweise sogar lebensnotwendig. Holger Apfel hat
zugegebenermaßen Pech gehabt, daß gerade zu der Zeit, als er Udo Voigt
beerbte, die NSU-Story aufkam. Und sein Schlagwort von der „seriösen
Radikalität“ hat er trotz eines großen, gut bezahlten und angeblich so
professionellen Trosses noch immer nicht mit Inhalten, mit Leben füllen
können. Er ist also seiner eigenen Klientel gegenüber in Leistungszwang.
Er hat in nunmehr einem Jahr Parteivorsitz so gut wie nichts
aufzuweisen, außer vielleicht im negativen Sinne rückläufige
Wahlergebnisse. Er gleicht einem angeschlagenen Boxer, der aus der
eigenen Ecke nicht mehr herauskommt und nur hofft, sich über die Runden
retten zu können. Was wenig Zweck hat, weil er, wenn schon nicht durch
technisches KO, dann zumindest nach Punkten zu verlieren droht.

Ob der „Nachwuchsjurist“ Richter nun von sich aus den lichtvollen
Gedanken an eine Gegenoffensive hatte oder ob der Stab Apfel nach
Möglichkeiten aus der Krise der Unbeweglichkeit suchte und dabei auf
diesen Ausweg verfiel, ist egal.

Strategisch ist es die richtige Entscheidung.

Denn wer sich nur verteidigt, verliert immer. Im Krieg ist oftmals der
Gegenangriff die einzige Möglichkeit, gegen einen stärkeren Feind noch
zu gewinnen. Sich im Bunker zu vergraben und zu hoffen, daß gütige
Götter das drohende Schicksal noch einmal abwenden, bringt eher wenig.

Nicht ein Soldat, sondern ein Literat hat das vor etwas mehr als hundert
Jahren begriffen. Vielleicht ist das Beispiel in nationalen Kreisen
nicht sehr beliebt, weil es sich dabei letztlich um einen Juden handelt:
Um den französisch-elsässischen, jüdischstämmigen Artilleriehauptmann
Dreyfus. Der wurde als Verräter, als deutscher Spion, degradiert und zur
Verbannung auf die Teufelsinsel verurteilt. Dort beziehungsweise in
Französisch-Guayana verbrachte er vier Jahre strenger Haft, später
weitere Zeit in französischen Gefängnissen, insgesamt rund ein halbes
Jahrzehnt. Sein Fall erfuhr eine Wende durch die Intervention des
berühmten Schriftstellers Emile Zola. Dieser richtete einen offenen
Brief an den Präsidenten der Republik, betitelt „J'accuse!“, „ICH KLAGE
AN!“ Ziel Zolas war es, einen Zivilprozeß gegen sich selbst in Gang zu
setzen, um mit dessen Ergebnis eine Revision des gegen Dreyfus
ergangenen Kriegsgerichtsurteils zu erwirken. Zola wurde folgerichtig in
erster Instanz auch zu einem Jahr Haftstrafe verurteilt. In der zweiten
Instanz fiel dieses Urteil geringer aus; dennoch zog Zola es vor, vor
Zustellung und damit Rechtskraft des Urteils ins britische Exil zu gehen.

Unabhängig davon, daß Emile Zola den letzten Einsatz für die von ihm
vertretene Sache, die Gesinnungshaft, dann doch gescheut hat, war es
seine Streitschrift, die zu einer Neuaufnahme des Verfahrens gegen
Dreyfus und am Ende zu dessen Rehabilitation geführt hat. Diese
Intervention gilt heute als eine der größten publizistischen Sensationen
des 19. Jahrhunderts.

In ähnlichem Sinne könnte ein solcher Vorstoß der NPD eine Wende in dem
seit rund viereinhalb Jahrzehnten andauernden psychologischen und
politischen Terror gegen diese radikalste aller zur Zeit bestehenden
rechten Parteien bringen.

Hüten sollte sie sich allerdings davor, ihren Gegenangriff zu früh zu
starten. Denn seit einem halben Jahr wird dem interessierten Publikum
versprochen, daß am 6. Dezember die Innenministerkonferenz darüber
entscheiden werde, ob sie den Verfassungsorganen die Einleitung eines
Verbotsverfahrens empfehlen will oder lieber doch nicht. Was übrigens
mitnichten gleichbedeutend mit dem Beschluß hierzu ist. Denn die besagte
IMK kann ja nur Empfehlungen aussprechen, die keine Bindungswirkung
haben. Unterbleibt aber diese Empfehlung oder wird sie neuerlich auf
möglicherweise unbestimmte Zeit hinausgeschoben, wie so manche
Medienkommentare nahelegen, ist genau dann der richtige Moment für eine
Gegenoffensive gekommen. Die Glaubwürdigkeit der im Bundestag
vertretenen Parteien sowie der Landesregierungen (von denen 14 von 16
derzeit für einen Verbotsantrag sind) hätte sich damit fast auf null
reduziert. In jeder weiteren Verzögerung, in jedem weiteren Herumgerede
kann man nur die altbekannte Methodik sehen: Eine politische Konkurrenz
zu diskreditieren, ohne gleichzeitig Farbe zu bekennen und es auf eine
Entscheidung der beiden Höchstgerichte ankommen zu lassen, des
bundesdeutschen und des noch über diesem stehenden europäischen.

Parchim, den 2. November 2012
Christian Worch

Zwei Nachsätze:

Erstens: Der erwähnte Dreyfus-Prozeß wäre in jedem Fall ein Skandal
gewesen, unabhängig von der Schuld oder Unschuld des Mannes. Denn seine
Verurteilung erfolgte aufgrund von Geheimbeweisen, die nur dem Gericht
vorlagen, nicht aber ihm oder seinem Anwalt. Angeklagter und Advokat
wußten nicht einmal von der Existenz dieser Beweise!

Zweitens: Aus deutscher Sicht und philosophisch gesehen wäre Dreyfus in
jedem Fall unschuldig gewesen. War er es tatsächlich – wofür die
überwiegende Zahl aller bekannten Fakten spricht! - , dann war er als
französischer Offizier unschuldig und hatte seinem Vaterland treu und
ohne Tadel gedient. War er jedoch Spion, dann war er UNSER Spion, ein
kaiserlich-deutscher, und damit in UNSEREN Augen unschuldig oder gar ein
Held.


Zur Startseite