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Percente, Percente, Percente! - Wahlnachlese

Nachricht von:
Christian Worch

Hamburg, den 29. September 2009

Percente, Percente, Percente!
(Wahlnachlese)


Nach den Wahlen sind üblicherweise Kommentare zu lesen, manche
lichtvoll, andere eher lustig. (Obwohl die Autoren sie zweifellos ernst
gemeint haben. Zumindest haben sie jeden Hinweis darauf versäumt, daß es
sich um Ironie handeln soll.) In seiner Eigenbeschäftigung neigt das
"nationale Lager" (inzwischen sprechen viele lieber vom "rechten Lager")
dazu, sich mit jenem Ergebnissen zu beschäftigen, die man vor
Internet-Zeiten nur beim Wahlleiter erfragen konnte, weil sie in Funk
und Fernsehen und Zeitungen als "Sonstige" summiert waren. Nun, dagegen
ist nicht viel einzuwenden. Denn für Angehörige der Opposition ist der
Unterschied zwischen CDUCSUSPDFDPGRÜNENSEDPDSLINKEN so unwichtig, daß
man beim Schreiben sogar auf die Leertaste zwischen den einzelnen
Kürzeln verzichten kann.

Da erfahren wir von der NPD also, sie sei die einzig ernstzunehmende
nationale Kraft. Weil sie 1,5 Prozent hat und damit dreimal mehr als
REPs und DVU zusammen. Irgendwie klingt das sehr vertraut. Vor vier
Jahren hörten wir ähnliches; da hatte die NPD 1,58 Prozent und die REPs
mit 0,56 Prozent ungefähr ein Drittel davon. Oder die NPD dreimal
soviel, wie immer man es auch sehen möchte.

Befassen wir uns lieber mal einen Moment nicht mit der Frage, wie sich
der Stimmanteil in diesem schmalen "Marktsegment" zusammensetzt, sondern
eher mit der Frage, wie sich das "Marktsegment" selbst entwickelt hat.

2005 waren es 2,14 Prozent für zwei nationale Parteien.

2009 waren es 2,0 Prozent für drei nationale Parteien.

Ein Rückgang um knapp zehn Prozent an relativen Stimmen. Nicht
dramatisch, kein EInbruch, aber ein Rückgang. Etablierte Politiker
würden von "Stabilisierung auf niedrigem Niveau" reden. Klingt irgendwie
gut. Besser zumindest als Rückgang...

Nun aber einmal zu den absoluten Zahlen. Die sind manchmal interessanter
als die relativen Zahlen. Bei der Thüringen-Wahl beispielsweise war
nachzurechnen: Hätte die NPD in absoluten Zahlen das gleiche Ergebnis
bekommen wie bei der Bundestagswahl 2005, wäre sie jetzt mit einer
Fraktion im Landtag von Thüringen vertreten. Da sie aber ca. 7000 reale
Stimmen weniger bekommen hat, hat es nur zu relativen 4,3 statt 5,00001
gereicht.

An realen Stimmen erzielte 2005 die NPD 748.568, die REPs 266.101,
zusammen also 1.014.669. Immer noch nicht viel in einem
80-Millionen-Volk, aber immerhin, knapp über der glatten Million.
Million klingt gut.

Diesmal bekam die NPD 635.437 Stimmen, die REPs 193.473 und die DVU
45.925. Ohne Taschenrechner, den ich irgendwo untergemüllt habe, macht
das für mich ein Ergebnis von 874.835. Und damit doch erkennbar ein
Stück unter der glatten Million.

Nun kann man sich damit trösten, daß es den nationalen oder rechten
Parteien nicht besser geht als allen anderen. Denn die Wahlberteiligung
ist ja von knapp 78 auf knapp 71 Prozent gesunken; zehn Prozent konkrete
Wähler weniger. Wenn man - als natonales oder rechtes Lager - dann ca.
15 Prozent absolute Wählerstimmen weniger hat, dann ist das kein Verlust
um 15 Prozent, sondern nur einer um weniger als 5 Prozent. So weit, so
tröstlich.

Auch wenn all diese Überlegungen rechnerisch und sachlich richtig sein
mögen, sie enthalten einen grundlegenden Fehler. Nämlich den gleichen,
den die etablierten Parteien CDUCSUSPDFDPGRÜNESEDPDSLINKE machen. Da
wird als Pflichtübung zwar mal das Nachlassen des Wahlinteresses
beklagt, ansonsten aber liegt das Augenmerk so gut wie ausschließlich
auf relativen Zahlen. Percente, Percente, Percente! (In den hübsch
geschriebenen Science-Fiction-Romanen von Poul Anderson der Schlachtruf
der "Polesotechnischen Liga", einer fiktiven futuristischen
Händlervereinigung.)

Warum?

Weil von diesem "Percente, Percente, Percente!" abhängig ist, wer wie
viele Plätze im Bundestag bekommt. Und wer welchen Anteil aus dem "Topf"
der Parteienfinanzierung bekommt. Also, es geht um Mandate und Geld;
nicht um den Wähler, nicht um das Volk!

Und das nationale oder rechte Lager befindet sich denkschienenmäßig in
der gleichen Sackgasse wie die etablierten Parteien
CDUCSUSPDFDPGRÜNESEDPDSLINKE.

Also geht es auch da möglicherweise nur um (auf Bundesebene bisher
völlig illusorische, unerreichbare) Mandate? Und um Geld? Und ein wenig
um den Hahnenkampf der Vorreiterrolle? Und nicht ums Volk? Oder den Wähler?

Angesichts der mangelnden Unterscheidbarkeit nationaler oder rechter
Parteien mit den genannten etablierten Parteien
CDUCSUSPDFDPGRÜNESEDPDSLINKE kann es leider nicht wundern, daß es
allenfalls eine "Stabilisierung auf niedrigem Niveau" gibt.

Das ist die Botschaft, die mir wichtiger erscheint als die Frage, ob die
NPD von 1,6 auf 1,5 Prozent abgesunken ist oder die REPs es diesmal
nicht über die für die Parteienfinanzierung wichtige 0,5-Prozent-Marke
geschafft haben und ihre knapp 200.000 Stimmen damit fürs "fiktive
Wählerstimmenkonto" wegfallen und es weniger Staatsknete gibt.

Aber es ist wohl so, wer in Parteien ist, ist in parteilichem Denken
verfangen.

DAS ist der Systemfehler; nicht das Wirtschaftssystem, nicht die
schleichende und immer schnellere Abkehr der Politik vom
Abstammungsprinzip, nicht die Unterstützung spätimperialistischer
Kriegspolitik. Die Parteien sind der Systemfehler. Und die, die es
besser machen wollen, machen die gleichen Fehler wie die anderen.

Kein Wunder, daß der Wähler die Schnauze voll hat. Und wenn die NPD in
vier Jahren nicht verboten ist und wenn sich die "inneren
Machtverhältnisse" des nationalen Lagers nicht verändern - was sie ja
schon häufig getan haben -, werden wir auch in vier Jahren lesen können,
daß die NPD die einzige ernstzunehmende nationale Kraft ist, weil sie
1,4 Prozent hat und damit dreimal mehr als die anderen, die zusammen nur
auf 0,4 Prozent kommen....

Hat noch jemand in Erinnerung, wie das Fernsehen einmal die Bänder von
der Neujahrsansprache des damaligen Bundespräsidenten vertauscht hat und
die vom vorigen Jahr statt der aktuellen gesendet hat? Und beinahe
niemand hat es gemerkt!

Hamburg, den 29. September 2009
Christian Worch


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