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Frontbegradigung

Nachricht von:
Christian Worch

Hamburg, den 22. Juli 2007

Frontbegradigung

Am 21. Juli fand in Leipzig die siebzehnte Demonstration binnen sechs
Jahren statt. Heute habe ich gegenüber der Behörde die von mir
vorsorglich bis 2014 zweimal jährlich angemeldeten Demonstrationen
abgesagt. Das ist Anlaß für eine

Rückschau

und Erinnerung.

Für den 1. September 2001 hatte Steffen Hupka in Leipzig eine
Demonstration zum Anti-Kriegstag angemeldet. Sie wurde verboten. Hupka
focht das Verbot vor dem Verwaltungsgericht Leipzig an; das
Verwaltungsgericht bestätigte das Verbot. Hupka erhob Beschwerde zum
Oberverwaltungsgericht, und dieses ließ die Demonstration zu. Sie fand
also statt.

Sie fand statt? Wirklich? Naja, bedingt, eingeschränkt.... Etwa
zweitausend Kameraden versammelten sich am Hauptbahnhof und marschierten
zwischen fünfhundert und siebenhundert Meter, bis die Demo von der
Polizei geblockt und eingekesselt wurde. Vorwand dafür war der
Sprechchor „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“, den die Polizei willkürlich
für rechtswidrig hielt. (Die Verfahren gegen Hupka, den ehemaligen
Rechtsanwalt Horst Mahler und mich wurden natürlich vor dem Amts- und
Landgericht Leipzig gewonnen.)

Dieser Schikane wegen entschlossen wir uns zu einer neuen Demonstration
in Leipzig Anfang November 2001. Steffen Hupka hatte aber keine Zeit
oder Lust, sie anzumelden und zu organisieren. Oder er scheute die
Kosten; denn die Leipzig-Demos waren fast ausnahmslos mit Verlusten
verbunden. Also sprang ich ein.

Die Demo Leipzig zwei kam ein wenig weiter als die Demo Leipzig eins,
aber auch nur einen Bruchteil der Strecke, rund einen Kilometer oder so.
Dann wurde auch sie geblockt, weil unseren etwa 1.200 Demonstranten
tausend bis zweitausend bürgerliche Gegendemonstranten gegenüberstanden,
darunter auch der Oberbürgermeister von Leipzig persönlich. Kein Wunder,
daß die Polizei den nicht von der Straße räumen wollte.... – Aber wir
waren vorbereitet, weil wir erstmals in der Geschichte für eine
Demonstration unter freiem Himmel auch eine Skinhead-Band dabei hatten;
die Jungs von OIDOXIE mit ihrem Sänger Marko Gottschalk. Um uns die
Wartezeit zu vertreiben und auszudrücken, daß wir uns die gute Laune
nicht mehr nehmen ließen, spielten sie auf offener Straße in einer
deutschen Halbmillionenstadt auf; lustigerweise genau vor dem
weltberühmten Gewandhaus. Skin-Rock goes Opera...

Weil wir aber hartnäckig waren, entschieden wir, in Leipzig weiter zu
demonstrieren, bis auch dort das Demonstrationsrecht in vollem Umfang
hergestellt ist. Die nächste Demonstration war im April 2002, und erneut
kamen etwa tausend Teilnehmer zusammen. Diesmal hatten sich die Behörden
eine andere Behinderung ausgedacht. Das Hindernis heißt Sander und war
damals Polizeioberrat; inzwischen Polizeidirektor. Unter Verstoß gegen
das Versammlungsgesetz zögerte er den Beginn der Veranstaltung schikanös
so lange hinaus, bis es nicht mehr möglich war, trotz des relativ langen
angemeldeten Zeitrahmens, die ganze Wegstrecke hin und zurück zu laufen.
Damit blieb Leipzig drei vollkommen stationär. Und wir durften später
die interessante Erfahrung machen, daß ein Polizeioffizier, der gegen
das Versammlungsgesetz verstößt, befördert wird, während ein
Demonstrant, der dagegen verstößt, bestraft wird....

Leipzig vier war im Juni 2002, und das waren eigentlich zwei nationale
Demonstrationen gleichzeitig in der gleichen Stadt. Denn weil dort
gerade die Anti-Wehrmachts-Ausstellung von Reemtsma gastierte, hatten
sowohl die NPD als auch parteifreie Kräfte für den gleichen Tag
Demonstrationen angemeldet; die eine startete am Hauptbahnhof, die
andere am Völkerschlachtdenkmal. Sehr erbost berichteten die Zeitungen ,
daß nur 500 Leipziger gegen 1.720 Neonazis protestierten. (1.100 auf der
NPD-Demonstration, 620 auf der von mir angemeldeten parteifreien
Demonstration.)

Leipzig fünf war im Juli 2002, und wie man es bei so kurz
aufeinanderfolgenden Demonstrationen in der gleichen Stadt erwarten muß,
war die Zahl der Demonstranten wieder ein Stück geringer, in dem Fall
400. Aber die linken Gegenaktivitäten ließen noch stärker nach.

Bis zum 3. Oktober 2003 hatten wir Leipzig zehn erreicht, auf Anregung
örtlicher Kräfte diesmal als Doppeldemonstration; erst in Leipzig, dann
in Schkeuditz, das so dicht an Leipzig liegt, daß es fast schon als
Vorort der Stadt angesehen werden kann. Der Widerstand in Leipzig war
kaum noch zu erkennen, und in Schkeuditz gab es überhaupt keinen mehr.
Allerdings hatte die Zahl unserer Demonstranten sich auf einem
vergleichsweise niedrigen Niveau stabilisiert; am 3. Oktober 2003 waren
es etwa 350.

Um wieder ein wenig Aufwind bei den Teilnehmerzahlen zu bekommen,
entschlossen wir uns – in Absprache mit örtlichen Kräften -, den
nächsten Demo-Termin auf den symbol- und mobilisierungsträchtigen 1. Mai
zu legen. Es kamen am 1. Mai 2004 knapp über tausend Demonstranten.

Leipzig zwölf war für den 3. Oktober angemeldet. Und weil die örtlichen
Kräfte es langsam langweilig fanden, immer die selbe Strecke vom
Hauptbahnhof in Richtung Völkerschlachtdenkmal zu marschieren (wobei wir
zeitweilig auf gerade mal nur hundert Meter ans Völki herankamen, aber
dank behördlicher Schikane nie direkt auf den Vorplatz), schlugen sie
eine Änderung vor. Warum nicht mal ins auch irgendwo ebenfalls
symbolträchtige Connewitz hinein und den Gesprächskonktakt mit den
Gegendemonstranten suchen, die wir bei unseren eigenen Demos immer
weniger zu sehen bekamen...?

Kurz vor Leipzig zwölf wurde dann die Republik durch den Wahlerfolg der
NPD in Sachsen erschüttert, geradezu doppelt erschüttert. Einmal, weil
die NPD es erstmalig seit mehr als dreißig Jahren geschafft hatte, in
ein Landesparlament zu kommen, und zum anderen, weil sie es sogar mit
unerwartet hohem Ergebnis von 9,2 Prozent geschafft hatte.

Das gab auch den Linken einen Mobilisierungsschub, vor allem den
militanten Linken. Sie sahen uns wohl knapp vor der Machtübernahme.
Jedenfalls tauchten am 3. Oktober 2004 überraschend viele auf, so daß es
heftige Krawalle, brennende Barrikaden und all den Rest des
Bürgerkriegsszenarios gab. Unsere Demonstration kam auf der angemeldeten
Strecke keinen Meter weit. (Eine Art Demo gabs dann allerdings trotzdem,
nämlich von dort zurück zum Hauptbahnhof, etwas über einen Kilometer in
bester Innenstadtlage.)

Weil die Linken nun einmal auf den Geschmack gekommen waren, machten sie
auch bei Leipzig dreizehn Krawall, am 1. Mai 2005. Wir allerdings
konnten gegenüber dem 1. Mai 2004 unsere Teilnehmerzahl noch einmal
knapp steigern, nämlich auf 1.100. Trotzdem kamen wir nicht einmal die
halbe Strecke weit; noch am Georgi-Ring, knapp hinter dem Augustusplatz,
wurde wegen linker Steinewerfer der polizeiliche Notstand verkündet.
Diese Demonstration hatte übrigens sogar ein parlamentarisches Nachspiel
im Sächsischen Landtag; initiiert allerdings nicht von der NPD, wie man
vielleicht hätte erwarten dürfen, sondern von der PDS.

Leipzig vierzehn war am 3. Oktober 2005, und auch diesmal gab es
Blockaden, die die Polizei zu räumen verweigerte.

Daher ließen wir uns für Leipzig fünfzehn am 1. Mai 2006 etwas neues
einfallen: Wir wollten eine Art Sternmarsch machen, von zwei
Ausgangspunkten aus, wobei die beiden Züge sich in der Mitte treffen und
dann gemeinsam nach Connewitz marschieren sollten. Der Anmelder der
zweiten Demonstration war auf meine Bitte beziehungsweise Einladung hin
Steffen Hupka. Dies ist von einigen Kameraden sehr kritisiert worden,
weil Hupka zwischenzeitlich wohl auch durch deutlich nachgelassene
Aktivität nicht mehr sehr hoch im Kurs stand. Mir persönlich aber war er
als Co-Anmelder wichtiger als alle anderen infragekommenden, weil er
eben der Mann war, der als Anmelder der ersten Demonstration den Stein
unabsichtlich ins Rollen gebracht hatte.

Vielleicht lag es an Hupkas Umstrittenheit, vielleicht auch daran, daß
parteifreie Kräfte aus Magdeburg sehr kurzfristig für dort noch eine 1.
Mai-Demo angemeldet haten, es kamen jedenfalls nur etwa 550 Teilnehmer
nach Leipzig. Die eine Hälfte konnte vom Ostplatz aus den größten Teil
ihrer Strecke marschieren, die andere Hälfte wurde am Hauptbahnhof durch
das übliche Zusammenwirken von Antifaschisten und Polizisten blockiert.

Leipzig sechzehn war am 3. Oktober 2006. Mir waren zwischenzeitlich
Gerüchte zu Ohren gekommen, daß etliche Kameraden auf Leipzig keine Lust
mehr hätten; da stehe man doch sowieso nur stundenlang im Regen und
komme keinen Meter vorwärts. Vielleicht deshalb waren am 3. Oktober 2006
nur knapp über 200 Teilnehmer da. Die aber konnten dafür längenmäßig die
ganze Strecke marschieren. Nur auf dem Rückweg mußte eine andere Route
genommen werden als die angemeldete, weil dort Barrikaden brannten und
die Polizei sich zu deren Beseitigung nicht imstande sah.

Nach dem 3. Oktober und eingedenk der gehörten Gerüchte fragte ich
Kameraden aus der Region, ob dort überhaupt noch ein Interesse an der
Fortsetzung der Leipzig-Demos bestünde, oder ob damit aufgehört werden
solle. Nein, auf keinen Fall aufhören, war die Antwort. Also gut, die
nächste war für den 1. Mai 2007 angemeldet. Aber um den Jahreswechsel
herum hörte ich, daß für den 1. Mai auch in Dortmund eine parteifreie
Demo angemeldet war. Und außerdem versuchten wir, gerade zu diesem Datum
die Demonstrationsanmeldungen auch mit der NPD zu koordinieren, um uns
nicht wechselseitig ins Gehege zu kommen. Die NPD hatte – mit Mitwirkung
parteifreier Kräfte – für Erfurt angemeldet. Erfurt und Leipzig liegen
relativ dich beeinander. - Ich fragte also in Sachsen nach: Wollt ihr
beim 1. Mai in Leipzig bleiben? Oder wärt Ihr damit einverstanden, wenn
wir mit Rücksicht auf Erfurt und Dortmund abmelden beziehungsweise
verschieben? – Die örtlichen Kameraden waren mit einer Abmeldung
einverstanden. Also meldete ich ab. Und fragte dann noch einmal: Wie
möchtet Ihr das mit den Leipzig-Demos überhaupt geregelt wissen?
Weitermachen? Aufhören? Wenn weitermachen: Beim bereits angemeldeten 3.
Oktober als nächster bleiben? Oder anderen Termin wählen?

Jens Schober – ich habe keine Hemmungen, seinen Namen zu nennen! – gab
mir den Termin, das Thema und die Wegstrecke vor. 21. Juli, Thema:
Arbeit in der Heimat zu gerechtem Lohn; und eine Wegstrecke, die am
Bahnhof Stoetteritz begann und am Bahnhof Anger-Crottendorf endete, also
eine völlig andere als die bisherigen in Leipzig. Ich meldete am 11.
April an, unmittelbar, nachdem er mir als letzte von allen Informationen
das Thema per e-mail übermittelt hatte.

Leipzig siebzehn, für mich persönlich: Leipzig, die letzte, fand gestern
statt. Es kamen nach meiner Schätzung 40 Teilnehmer; die Polizei machte
sich die Mühe, sie zu zählen, und gab 37 Teilnehmer an. Nach einer
Auftaktkundgebung mit Ansprachen von Sascha Krolzig und mir setzte sich
der Zug in Bewegung. Wir hatten eine Wegstrecke von ca. sechs oder
sechseinhalb Kilometern; ein sehr ruhiger Spaziergang durch Leipzig,
inmitten eines Polizeispaliers und oftmals flankiert von pöbelnden
Antifas. Einmal flog ein Ei in unsere Richtung, und einmal wurde Wasser
aus einem offenen Fenster geschüttet, das nicht unsere Demonstranten
traf, sondern einen Polizisten. (Wir wären über den Wasserguß aber nicht
unerfreut gewesen; es war ein ziemlich warmer Tag.) An mehreren Stellen
gab es Sitzblockaden der Antifa. Die kleineren Blockaden wurden von der
Polizei schnell und kompetent geräumt. Wenn es etwas größere Blockaden
waren, wurde in Absprache mit mir die Wegstrecke von der Polizei
umgeleitet, so daß wir eine Parallelstraße nahmen, um nach einer
weiteren Biegung wieder auf die vorgesehene Strecke zu kommen. Eine
Verkürzung der anmeldeten Route war es in keinem Fall, so daß wir damit
problemlos leben konnten. Zur Abschlußkundgebung sprach Ivonne Mädel.
Die Zahl der Gegendemonstranten soll sich nach Medienberichten in einem
Bereich von 250 gehalten haben; also hat auch die Linke nicht sonderlich
gut mobilisieren können. Bis auf die geringe Zahl unsererseits also eine
sehr erfreuliche Veranstaltung; wir kamen sogar dichter an das
Völkerschlachtdenkmal heran als bei irgendeiner früheren Demonstration.

Die Auswertung:

Die Demonstration ist boykottiert worden, und zwar erstens systematisch
und zweitens auch hinterrücks. Nicht nur der „geistige Vater“ von
Termin, Thema und Route fehlte, der erwähnte Jens Schober, sondern auch
ein weiterer Mann, dessen Namen zu nennen ich mich nicht scheue, weil er
vorher seine Beteiligung angedeutet hatte: Thomas Gerlach, in nationalen
Kreisen auch unter dem von ihm selbst gewählten Spitznamen ACE bekannt.
Ein paar andere von den Boykotteuren mache ich nicht namhaft, weil ich
ihre Beteiligung nicht dokumentarisch belegen kann; aber ich habe eine
hinreichend gute Vorstellung, wer alles so mit einbezogen ist.
Beispielsweise ein Mann, der einem guten Kameraden von mir etwa zwei
Monate vor dem Termin sagte, er sei mit der Demo gar nicht zufrieden.
Mein Kamerad empfahl diesem Mann: Dann setz dich doch deswegen mal mit
Christian in Verbindung. Der Mann hatte nicht genugt Arsch in der Hose,
das zu tun. Tja. Wir Deutschen waren mal ein Volk von Helden. Helden
sind rar geworden in unserem Land! Leipzig war mal eine Heldenstadt.
Helden sind auch in Leipzig rar geworden, genau wie im ganzen Land...

Und warum?

Nun, darüber kann ich nur spekulieren, weil es eben keiner für notwendig
empfunden hat, mich mal vorher darauf anzusprechen. (Vielleicht glauben
die Leute, daß ich Gedanken lesen kann. Wäre ja schön, wenn, aber diesen
Trick habe ich leider nicht drauf.)

Es gab im Frühjahr oder so in Leipzig eine Demonstration ortsansässiger
Kräfte. Sie hatten rein intern mobilisiert und erst exakt 48 Stunden
vorher der Behörde gegenüber angemeldet, um nicht den hinderlichen
linken Pöbel am Hals zu haben. Der Plan ging insofern auf; es
demonstrierten etwa hundert Teilnehmer völlig ungestört in Leipzig; die
Linke kriegte nix auf die Beine, und die Polizei hatte folglich auch
keinen Vorwand für irgendwelche Schikanen, Blockaden oder willkürliche
Verkürzungen der Wegstrecke. So was ist natürlich immer erfreulich. Aber
ob Demonstrationen mit eine rein internen Mobilisierung und einer nur
48-stündigen vorherigen behördlichen Anmeldung uns auf Dauer
weiterbringen, weiß ich nicht. In Leipzig haben die Leute jetzt ja
Gelegenheit, uns das vorzumachen...

Darüber hinaus scheint es seit dem Frühjahr in Sachsen und vielleicht
auch in Teilen von Thüringen modern geworden zu sein, sogenannte
„Kaffeefahrten“ zu machen. Nach dem Vorbild der Linken ist damit eine
unangemeldete Demonstration gemeint; oder gar eine Rundfahrt von einer
unangemeldeten Demonstration zur nächsten, bis soviele Polizisten da
sind, daß man damit nicht mehr durchkommt. Ein paar örtliche Anführer
halten sich vielleicht für Genies, weil sie denken, sie hätten das Rad
erstmals erfunden. Sie haben es nicht erstmals erfunden, sondern sie
haben es gewissermaßen neu erfunden; ich habe Aktionen dieser Art schon
vor rund dreißig Jahren gemacht. Und auch in der Zeit, wo wir gegen
Demo-Verbote vor den Gerichten nicht durchkamen, wurde es oft gemacht.
Natürlich haben unangemeldete Demonstrationen den Vorteil, daß man
überhaupt keine linken Störer um sich herum hat und zumindest am Anfang
die Polizei nicht oder allenfalls vereinzelt anwesend ist. Sie haben
aber leider auch den Nachteil, daß sie nicht ganz legal sind. Zumindest
der Leiter, wenn er identifiziert werden kann, macht sich strafbar. Und
wenn die Polizei auflöst und die Demonstration trotzdem fortgesetzt
wird, ist das für jeden Teilnehmer eine Ordnungswidrigkeit, die im
Schnitt so um die 100 Euro kostet. (Zu welcher Summe sich das bei 100
Teilnehmern addiert, kann man sich ausrechnen.)

Also ein Rad, das sehr schnell eiern kann... Eine „Erfindung“ mit
Risiken und Nebenwirkungen. Beim ersten Mal sieht es alles sehr schön
aus, nahezu noch perfekt; aber je öfter man es macht, desto mehr stellen
sich die Behörden darauf ein und wissen es zu verhindern. Und wissen
dann auch die Beteiligten entsprechend zu schikanieren und zu verfolgen.
Ob die Organisatoren oder ihre Anhänger das also allzulange machen,
werden wir sehen. Ich bin da eher skeptisch.

Nun, es braucht niemand von den Erfahrungen anderer zu lernen. Jedem ist
es freigestellt, seine eigenen zu machen. Kann nur unter Umständen
teurer werden; aber das ist dann nicht mein Problem. Es darf sich auch
jeder einbilden, das Rad neu erfunden zu haben. Obwohl es in der BRD
etwa zwanzig Millionen PKWs gibt, die üblicherweise alle auf vier Rädern
laufen, ist keiner daran gehindert, sich für den Erfinder zu halten.
Oder für den Erfinder von etwas, das aussieht wie ein Rad, das
funktioniert wie ein Rad, das alle Eigenschaften eines Rades hat, nur
daß der Erfinder es halt für etwas völlig Neues hält, für etwas, das
noch nie dagewesen ist...

Die Folgen?

Die Kette der Leipzig-Demonstrationen war der bisher massivste und am
längsten andauernde Anti-Repressions-Kampf, den das nationale Lager
gegen eine einzige Stadt geführt hat. Wir haben so etwas früher schon
gemacht; in Dortmund beispielsweise, oder in Rostock. Aber während in
anderen Städten die Repression sich nach zwei, drei oder vier
aufeinanderfolgenden Demonstrationen milderte oder auf das bundesweit
übliche Maß schrumpfte, erwies Leipzig sich als sehr hartnäckig. Womit
sie letztlich richtig lagen. Denn wenn vermeintlich eigene Kameraden –
und dann auch noch in undeutscher Heimtücke – so was boykottieren, dann
hat die Repression halt einen Hebelpunkt. Und wieder Luft zum Atmen; und
damit wird sie stärker werden. Mir als Hamburger, mir als Wessi, kann
das verdammt egal sein. Ich muß nicht unbedingt in sechs Jahren für
siebzehn Demonstrationen in einer einzigen Stadt cirka 14.000 Kilometer
fahren. Es gibt andere Städte, andere Regionen, in denen sich für mich
genauso zu demonstrieren lohnt; vom Thema her und neuerdings auch unter
dem Gesichtspunkt, daß ich dort Kameraden habe, die nicht hinterhältig
versuchen, mir in die Hacken zu treten, sondern die mit mir offen und
ehrlich umgehen. Egal, ob sie einer Meinung mit mir sind oder eine
andere haben.

Zum Verbot und einigen Hintergründen:

Auch nach dem eingangs beschriebenen ersten Rechtskampf (den Steffen
Hupka erst in zweiter Instanz gewann), gab es um die
Leipzig-Demonstrationen fast regelmäßig juristische
Auseinandersetzungen. Die Stadt versuchte mit immer neuen Kleinigkeiten,
unser Demonstrationsrecht einzugrenzen, möglichst auszuhebeln, die
Wirksamkeit unserer Demonstrationen zu mindern. (Das ging hin bis zu
einem Verbot, Sonnenbrillen zu tragen; ausgesprochen ausgerechnet bei
strahlendem Sonnenschein von einem sonnenbebrillten
Ordnungsamtsleiter....) Das alles wurde immer wieder konsequent
angefochten; meistens auch erfolgreich; oft erst im zweiten oder dritten
Anlauf erfolgreich. (Nebenbei bemerkt, ohne daß es mir damals oder
rückwirkend um das Geld leid getan hätte bzw. tun würde: Die Kosten
dafür habe ich aus eigener Tasche bezahlt. Und wenn unter den
Demonstranten mal eine Sammlung gemacht worden ist, hat das bis auf eine
einzige Ausnahme, wo es einen Überschuß von vielleicht hundertfünfzig
Euro gegeben hat, nie zur Deckung ausgereicht.)

Überrascht war ich allerdings schon, als mir am Dienstag letzter Woche
ein Verbot angekündigt wurde und es dann am Nachmittag des Mittwoch
tatsächlich zugestellt wurde.

Ein möglicher Hintergrund ist mir bewußt geworden, als ich in der
Leipziger Volkszeitung eine Bemerkung des Ordnungsbürgermeisters (so
eine Art Zweiter Bürgermeister in Leipzig) las, des Herrn Heiko
Rosenthal von der Linkspartei. Als das Verbot raus war, aber bevor die
Stadt von meiner Anfechtung zum Gericht wußte, sagte er, er werde keine
Details der Verfügung nennen. „Er wolle erst abwarten, wie Worch
reagiert und wie das Gericht sich gegebenenfalls positioniert.“

Hat Herr Rosenthal etwa damit gerechnet, daß ich nicht anfechte?

Eine interessante Überlegung. Ich wußte vorher, daß die Beteiligung
gering sein würde; es gab genügend Indizien für mindestens eine
Verweigerung, wenn nicht schon einen klaren Boykott regionaler Kreise.
Herr Rosenthal wußte das möglicherweise noch besser als ich, denn er
hatte die beiden Berichte des Verfassungsschutzes, den vom 5. Juli und
den vom 16. Juli. Beide sind natürlich in der mir vorliegenden
Verbotsverfügung zitiert. „Erkenntnisse über die beabsichtigte Teilnahme
sächsischer Rechtsextremisten oder Rechtsextremisten aus anderen
Bundesländern liegen zur Zeit nicht vor.“ Da wird sich Herr Rosenthal
möglicherweise gedacht haben: Na, wenn der Worch GENAUSOWENIG
Erkenntnisse darüber hat wie das Landesamt für Verfassungsschutz, dann
ist die kurzfristig ergangene Verbotsverfügung für ihn vielleicht gar
ein willkommener Anlaß, die Demonstration ausfallen zu lassen, indem er
das Verbot einfach nicht anficht.

Wenn Herr Rosenthal diesen Hintergedanken gehabt hat, muß man ihm
wirklich zu seiner Intelligenz gratulieren, denn dann wäre es noch
weitergegangen. Das Verbot beruhte tatsächlich nicht auf dem zeitgleich
stattfindenden Christopher-Street-Day. Der wurde gerade mal am Rande
erwähnt. Es beruhte auf der sogenannten Inanspruchnahnme des
Nichtstörers wegen erwarteter Störungen Dritter. Ein Verbotsgrund, den
man - wenn man ihn durchgehen ließe – auf jede Demonstration des
nationalen Lagers anwenden könnte, weil es immer Gegendemonstrationen
gibt, die häufig genug gewaltsam verlaufen. Ein stillschweigendes
Akzeptieren des Verbots ohne gerichtliche Anfechtung hätte also für
andere Versammlungsbehörden willkommenen Anlaß gegeben, es auch an
vielen anderen Orten auf dieser Schiene zu versuchen. Und sie hätten
dabei versuchen können, vor den Gerichten damit Punkte zu sammeln, daß
sie darauf verweisen, daß eine so begründete Verfügung in Leipzig
unangefochten geblieben sei.

Deshalb war also klar, daß ich allein aus Prinzip anfechten würde; nicht
wegen einer einzelnen Demonstration, ob sie nun 37 oder 370 Teilnehmer
hat, sondern wegen Dutzender und Aberdutzender anderer Demonstrationen
anderer Veranstalter in ganz Deutschland.

Aber so weit denken die wenigsten unserer Kameraden. Manche denken
vielleicht noch nicht einmal so weit, wenn man es ihnen lang und breit
und ausführlich erklärt. Oder wollen nicht so weit denken. Auch das kann
man nicht ausschließen.

Also heben die Boykotteure der örtlichen Behörden beinahe schon doppelt
in die Hände gearbeitet. Aber nun, da die Folgen hauptsächlich in deren
eigener Region eintreten werden, kann mir das egal sein. Schade, wenn
der Widerstand sich selbst auf diese Weise lähmt, und sei es auch nur
örtlich oder regional, aber das wird man nicht ändern können. Wäre ja
auch nicht das erste Mal. Und wird nicht da letzte Mal bleiben.

Und daß dies alles am Tag nach dem 20. Juli geschah, verleiht ihm eine
gewisse zusätzliche Würze. Nicht, daß ich mich mit den damals beteiligen
oder betroffenen Personen auch nur im entferntesten vergleichen wollte;
das Datum ist nun einmal irgendwie besonders belegt. Und der 21. Juli
liegt nun mal zwingenderweise einen Tag hinter dem 20. Juli....

Impressionen am Rande:

Bevor die Veranstaltung eröffnet wurde, frage mich die Polizei, mit
Blick auf die wenigen Teilnehmer, ob ich denn den Umzug überhaupt
durchführen wolle. Ich sagte: Selbstverständlich ja, soweit es mich
betrifft. – Nach Eröffnung und der lästigen Verlesung der Auflagen sagte
ich den Teilnehmern dann: Die Polizei hat mich gefragt, ob wir mit so
wenigen Leuten überhaupt einen Umzug machen wollen; ich habe gesagt,
soweit es mich betrifft, selbstverständlich ja, aber ich möchte
niemanden zu etwas nötigen, was er nicht will, und daher frage ich jetzt
Euch: Wenn einer dagegen ist, dann trete er jetzt vor und sage es, oder
schweige später! – Es trat von 36 Frauen und Männern niemand vor. Ich
bin stolz auf diese Kameradinnen und Kameraden! Wenn die Netzwerkquelle
Altermedia schreibt:
„ Dass Christian Worch dennoch auch mit einer geringen Teilnehmerzahl
durch Leipzig marschiert ist, nötigt wohl dennoch gewissermaßen Respekt
ab. „ dann muß ich das berichtigen. Den Respekt verdiene bestimmt nicht
ich allein oder ich in erster Linie. Den Respekt verdienen diese 36
Frauen und Männer.


Einen kleinen Seitenhieb in Richtung der Kommune muß ich mir noch
gönnen. An der Wegstrecke stand ein älterer roter
Daimler-Benz-Transporter (geschlossener Kasten), auf dessen Dach zwei
Lautsprecherboxen festgezurrt waren. Zwei wie typische Autonome
aussehende Männer standen so vor dem Nummernschild, daß sie es
verdeckten, offenbar bewußt. Da sie aber recht dicht am
Demonstrationszug standen, wurden sie von zwei Polizisten
beiseitegedrängt, was sie so sehr ärgerte, daß sie zurückzudrängeln
versuchten. Die Polizisten ließen sich das aber nicht gefallen und waren
im Drängeln oder Beiseiteschieben trotz gleicher Kopfzahl einfach besser
als die anderen. Somit habe ich mir das Kennzeichen gemerkt: L – AA
1209. Und weil sich Linke manchmal den kleinen Scherz erlauben, das
Kennzeichen von mir benutzter Fahrzeuge öffentlich ins Netz zu stellen,
erlaube ich mir in Erwiderung dessen auch die Veröffentlichtung.
Vorsicht bei eventuellem Kontakt mit diesem Fahrzeug: Die Besatzung
macht einen paranoiden Eindruck...

Hamburg, den 22. Juli 2007
Christian Worch


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