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1. Mai Leipzig

Christian Worch

Hamburg, den 2. Mai 2006


Mai-Demo(s) in Leipzig:


Das Leipzig-Konzept gestand darin, durch einen Sternmarsch gegnerische Kräfte zu zwingen, sich aufzusplittern.

Dieses Konzept ging am 1. Mai 2006 in Leipzig zumindest teilweise auf. Während die Demonstration vom Hauptbahnhof wegen einer teils militant-linken und teils gutbürgerlichen Blockade keinen Meter vorwärts kam, konnte sich die am Ostplatz (Prager Straße) beginnende in Bewegung setzen. Bald kam es allerdings auch hier zu einer Straßenblockade, die aufzulösen die Polizei sich weigerte, so daß der Zug umgeleitet wurde, aber immerhin auch noch in Richtung Connewitz. Nachdem kleinere Blockadeaktionen von der Polizei aufgelöst wurden, war in der Straße des 18. Oktobe dann soweit Schluß. Trotz aller technischer Hochrüstung und viel „Manpower“ in martilischer Gewandung weigerte sich die Polizei, weiter vorzugehen. Natürlich eine politische und keine operativ-taktische Entscheidung. Immerhin, dieser Demonstrationszug kam  mit einer Gesamtlänge von vielleicht drei Kilometern ein gutes Stück weiter als bei den letzten Malen, wo in Leipzig demonstriert worden ist.

Allerdings kann das Konzept allenfalls als Teilerfolg angesehen werden.

Nicht allein, weil auch der vom Ostplatz aus gestartete Demonstrationszug sein Ziel nicht erreicht hat. Auch sonst verlief nicht alles so optimal wie gewünscht.

Positiv muß man bewerten, daß von denen, die da waren, das Konzept offenbar verstanden und angenommen worden ist. Eine vollständige eins-zu-eins-Aufteilung gelang zwar nicht, aber mit (nach Polizeiangaben) etwa 220 Teilnehmern am Hauptbahnhof und etwa 320 Teilnehmern am Ostplatz gelang es uns, für eine wenigstens halbwegs gleichmäßige Verteilung der Demonstranten zu sorgen. Unter dem Strich aber war mit 540 Teilnehmern die Beteiligung erheblich schwächer als im Jahr davor oder zwei Jahre vorher, wo es jeweils knapp über tausend gewesen waren. Dies dürfte mit darauf zurückzuführen sein, daß aus mir unbekannten Gründen zwei Wochen vor dem 1. Mai eine Demonstration in Magdeburg angemeldet wurde, das immerhin nur rund 120 Kilometer von Leipzig entfernt liegt. Drei oder vier Tage vor dem 1. Mai wurde dann noch für Dresden-Freital eine Demonstratio angemeldet – mit gerade einmal 100 Kilometer Entfernung noch ein kleines Stück dichter an Leipzig heran.

Wahrscheinlich spielt die Frage, wieviele Demonstranten von unserer Seite aus tatsächlich in Leipzig sind, überhaupt keine Rolle für den Ablauf der Demonstration. Denn die Polizei wird erfahrungsgemäß für 600 Mann genausowenig räumen wie für 300 und für 3.000 genausowenig wie für 600 und für 6.000 genausowenig wie für 3.000. Die Demonstration in Leipzig, die tatsächlich am weitesten gekommen ist (nämlich im Sommer 2003 bis auf hundert Meter an das Völkerschlachtdenkmal heran) hatte mit 160 Teilnehmern die geringste Teilnehmerzahl von allen seit dem 1. September 2001.

Das Problem allerdings ist, daß regionaler Egoismus oder persönliche Profilierungssucht natürlich ein strategisches Konzept zunichte machen kann.

Vielleicht haben die Magdeburg-Anmelder sich gedacht, daß sie in ihrer Stadt völlige Ruhe haben werden, weil die Linken seit Wochen oder eher seit Monaten nach Leipzig mobilisierten und weil gerade aufgrund de dichten Nähe beider Städte auch die Antifa nicht imstande ist, zwei zeitgleiche Demonstrationen beide wirksam zu behindern.

Das Problem mit dieser Denkweise ist nur folgendes: Wenn wir immer nur da demonstrieren, wo wir meinen, leichtes Spiel zu haben, wird uns die Antifa im unausgesprochene Bündnis mit Behörden und Polizei immer weiter zurückdrängen. Wenn wir uns aus den Städten mit kritischem Antifa-Potential verdränden lassen, wird die Antifa uns bald auch in die eher ruhigen Städte nachrücken, dann auch in die Kleinstädte, bis hin in die Dörfer. Und wenn wir letztlich, nur um unsere Ruhe zu haben, auf der berühmten „Grünen Wiese“ demonstrieren, werden wir auch dort behördlich-polizeiliche Repressalien erleben; UND wir werden erleben, daß die Antifa uns auch dorthin nachrückt und im Gras nach Steinen buddelt, um uns damit zu bewerfen...

Rückzug ist feige; das als kleinen Gruß nach Magdeburg. Und nach Dresden-Freital, wenn die Demonstration dort überhaupt stattgefunden hat. (Wofür ich in den Medien bisher nicht einmal einen Beleg gefunden habe; soviel zu ihrer Außenwirkung.)

Zum Ablauf beziehungsweise weitere Einzelheiten:

Die Behörden übten sich in den üblichen Schikanen. Neu war diesmal, daß nach dem Auflagenbescheid Trageschilder mitgeführt werden durften. (Allerdings war die Zahl von Fahnen UND Trageschilden auf dreißig beschränkt.) Vor Ort allerdings kam Ordnungsamt oder Polizei auf den lichtvollen Gedanken, die Trageschilder als „schutzwaffengeeignet“ zu verbieten.... Ebenso lichtvoll war, daß laut Auflagenbescheid die Ordner nur eine Stunde vor Abmarsch des Zuges benannt werden mußten. Deren Überprüfung auf „behördliche Zuverlässigkeit“ dauerte dann allerdings über anderthalb Stunden. Auch das ist natürlich nichts anderes als ein „Spiel auf Zeit“, um uns das Demonstrieren durch unnötige Wartezeit unbequemer zu machen und vor allem den Linken Zeit zu geben, sich zu formieren. Beide Vorgänge werden ein behördliches beziehungsweise gegebenenfalls gerichtliches Nachspiel haben und dank der Kooperationsbereitschaft der sächsischen Landtagsfraktion möglicherweise sogar noch ein parlamentarisches. Es gibt Fälle, in denen Parlamentarismus richtig Spaß machen kann....

Die Kameraden am Hauptbahnhof nahmen – mindestens teilweise – nach langer und vergeblicher Wartezeit an einer Spontandemonstration in Schkeuditz (unmittelbar bei Leipzig beziehungsweise quasi ein Vorort von Leipzig) teil; diese soll nach ersten Informationen störungsfrei und für die Teilnehmer zufriedenstellend verlaufen sein.

Die Kameraden, die vom Ostplatz aus losmarschierten, waren zeitweilig mittelschwerem Bewurf mit Steinen und dergleichen ausgesetzt. Der Demonstrationssanitäter zählte vier Verletzte auf unserer Seite, von denen drei marschfähig blieben und einer wegen mehrerer zwar relativ harmloser, aber stark blutender Platzwunden zum Nähen oder Klammern ins Krankenhaus transportiert werden mußte. Vereinzelt kam es zu Direktkontakt zwischen unseren Kameraden und der Antifa, was der Antifa erkennbar viel unangenehmer war, als aus dem Schutz polizeilicher Absperrungen heraus Steine zu werfen. Über Verletzte bei der Antifa ist zur Zeit noch nichts bekannt; auch nicht über Festnahmen, von denen einige beobachtet werden konnten. Auch aus unseren Kreisen heraus wurden vereinzelt Kameraden festgenommen. Auch wurde einem Kameraden ungeachtet des Urteils des Oberlandesgerichts in Brandenburg ein Thor-Steinar-Pullover abgenommen; ein Vorgang, der auch noch ein behördliches oder gerichtliches Nachspiel haben wird. Um so mehr, als dies von Beamten einer weithin bekannten Einheit aus Berlin gemacht wurde, von der erst einmal abzuklären ist, ob sie überhaupt legal in Sachsen operiert haben. Denn wenn sie auf ihre übliche Weise von sich aus einfach dahin gefahren sind, verstoßen sie damit gegen den Grundsatz, daß Polizei Ländersache ist. Zwar steht es der sächsischen Polizei frei, nachträglich ihre Berliner Kollegen von der PMS gewissermaßen zu decken, indes mögen die Präsidien es überhaupt nicht, wenn fragwürdige oder halblegale Praktiken einmal bürokratisch oder gar gerichtlich hinterfragt werden....

Als Redner auf der Zwischenkundgebung traten auf ein Kameraden aus der Tschechei, Sascha Krolzig aus Hamm und Axel Reitz aus Köln, der wegen gerade erst überstandener heftiger Grippe zwar nicht ganz so gut bei Stimme war wie gewohnt, es sich aber trotzdem nicht nehmen ließ, wenigstens eine kurze Ansprache zu halten.

Im Umfeld der Demonstration wurden von linksextremistischen Kreisen mehrere Müllcontainer und ein Auto abgebrannt. Außerdem soll Sachschaden an etlichen Polizeifahrzeugen entstanden sein. Die Schadenshöhe soll bei 65.000 EURO liegen. Da Müllcontainer nicht so wahnsinnig teuer sind und auch nicht so wahnsinnig viele gebrannt haben, hat hier möglicherweise die berüchtige „Klasse gegen Klasse“ ein Nobelfahrzeug in Brand gesteckt; eines von Demonstrationsteilnehmern war es jedenfalls meines Wissens nicht.

In den meisten Medien werden die Ereignisse in Leipzig vorrangig behandelt; allerdings mit einem eher knappen Vorsprung vor der NPD-Demonstration in Rostock. Berichte über Magdeburg und Dresden fanden sich kaum oder gar nicht; solche über zwei Demonstrationen im Rhein-Neckar-Bereich eher spärlich.

Zum guten (oder wie auch immer) Schluß ein paar Danksagungen: An den Mitorganisator Steffen Hupka, der mit dem Hauptbahnhof unerwarteterweise den ungünstigeren Ausgangsort hatte als ich; an den Demo-Sanitäter im Rollstuhl, der meines Wissens Weltpremiere ist; ich glaube nicht, daß es auf einer unserer Demos jemals einen im Rolli fahrenden Sani gegeben hat; an die Jungs vom Selbstschutz, die die Ordner gestellt haben, und an alle anderen, die dabei waren.

Christian Worch

Nachbemerkung eins:
„Krawalle in Leipzig – Ruhe in Berlin“, titelte der Berliner Tagesspiegel. Denn 140 Berliner Autonome waren zur NPD-Demo nach Rostock gefahren; eine nicht genannte, wahrscheinlich aber größere Zahl nach Leipzig. Und daher blieb es bei der „revolutionären 1. Mai-Demo“ in der Hauptstadt geradezu unrevolutionär ruhig: Fazit: Die Antifa ist bereits so staatstragend, daß ihr Krawall am Rande nationaler Demos (gleichviel, ob von der NPD oder parteifrei) wichtiger ist als eigene angeblich „revolutionäre“ Projekte. Vielleich finden sich deshalb auch immer weniger kampferprobte Alt-Autonome in ihren Reihen, sondern mehr Kinder-Antifa oder angetrunkene beziehungsweise bekiffte Punks. Wäre ich Antifaschist, würde ich mir über diesen Qualitätsverlust und Richtungswechsel Gedanken machen. Glücklicherweise bin ich’s nicht und brauch‘ mir also keine Gedanken zu machen....

Nachbemerkung zwei:
Die NPD-Demonstration in Rostock hatte die größte Teilnehmerzahl von allen nationalen 1.-Mai-Demonstrationen dieses Jahres. Das wundert nicht, weil hinter ihr der Apparat einer Partei steht; und außerdem war es ja auch der Auftakt des Wahlkampfes in Mecklenburg-Vorpommern. Wenn es trotzdem vielleicht weniger waren als erwartet, ist das der Randlage Rostocks geschuldet ebenso wie dem Umstand, daß der 2. Mai ein gewöhnlicher Arbeitstag ist. – In den meisten Medien wurde von 800 NPD-Demonstranten in Rostock geschrieben; die TAZ schrieb von über tausend, die Süddeutsche beruft sich auf Polizeiangaben, daß „mindestens 1.500“ im NPD-Konvoi mitliefen, und der Berliner „Tagesspiegel“ meint sogar, daß es „mehr als 2.000“ gewesen sein. Nimmt man einen Mittelwert, erscheinen 1.500 realistisch. – In Leipzig waren es, wie erwähnt, nach
Polizeiangaben 540. Für Magdeburg werden Zahlen zwischen 400 und 500 genannt. Die Rhein-Neckar-Region brachte für ihre Demonstration auch um  die 400 auf die Beine. Alles in allem darf man also davon ausgehen, daß die Zahl der nationalen 1.-Mai-Demonstranten sich mit etwa 3.000 unter dem Strich die Waage mit dem Vorjahr gehalten hat. Auch das ungefähre eins-zu-eins-Verhältnis zwischen der einzigen von der NPD angemeldete Demonstration und den parteifreien Demonstrationen liegt im Erwartungsrahmen, wobei man berücksichtigen muß, daß sowohl an der NPD-Demo parteifreie Kameraden teilnahmen als auch umgekehrt an den parteifreien Demonstrationen NPD-Mitglieder.


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