- zurück zur Auswahl -

Ein links, ein rechts, ein fallen lassen....

Hamburg 06.04.06


Ein‘ links, ein‘ rechts, ein‘ fallen lassen....

Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit heutigem Beschluß geweigert, das Versammlungsverbot in Mannheim außer Vollzug zu setzen, sprich aufzuheben.

Während das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof (=Oberverwaltungsgericht) sich noch auf den Standpunkt gestellt hatten, das Versammlungsthema an sich sei strafbar im Sinne von § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch (Volksverhetzung), wollte das Verfassungsgericht sich in diesem Punkt lieber nicht festlegen. Es schrieb in dem vierseitigen Beschluß (dessen eigentlicher Begründungsteil nur eine Seite umfaßt – 1 BvQ 10 / 06 -):

„Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob sämtliche von dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen tragfähig sind.“

Mit diesen „sämtlichen Erwägungen“, von denen nicht enschieden werden muß, ob sie alle tragfähig sind, ist zweifellos die rechtliche Bewertung gemeint, das Versammlungsmotto „Schafft Meinungsfreiheit – Freiheit für Zündel, Irving, Rudolf und Verbeke“ sei an sich schon eine Straftat im Sinne von Volksverhetzung.

Stattdessen hält das Bundesverfassungsgericht es für „nicht offensichtlich fehlsam“, daß auf der Versammlung Straftaten i.S.d. § 130 Abs. 3 StGB begangen werden, die der Versammlung zuzurechnesind. Wörtlich dazu:

„Es ist nicht offensichtlich fehlsam,aus de Forderung zur Schaffung von Meinungsfreiheit und nach Freiheit für Personen, die wegen der Verletzung des Äußerungsdelikts aus § 130 Abs. 3 StGB verurteilt oder angeklagt sind, zu folgern, daß Inhalte Gegenstand der Reden oder sonstigen Äußerungen auf der Versammlung sein werden, die § 130 Abs. 3 StGB unter Strafe stellt. Diese Annahme wird dadurchbestärkt, daß zu den vorgesehenen Rednern Personen zählen, die schon selbst wegen Volksverhetzung verurteilt worden sind.“

Zu den Rednern hat sich der Verwaltungsgericht der ersten Instanz in seinem Beschluß allerdings schon mal geäußert. Es kam zu folgender Einschätzung:

„... es besteht die Gefahr, daß Straftaten nach §§ 130 Abs. 1 oder Abs. 3, § 185 StGB begangen werden. Soweit diese Gefahr bei HEISE zweifelhaft ist und bei den Personen WORCH und WÖLL mangels hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte zu verneinen wäre, würde sich im Hinblick auf das Motto und die anderen vorgesehenen Redner (*) am Charakter der Versammlung nichts ändern.“

(*) Anmerkung: Die anderen Redner waren RIEGER und TEGETHOFF.

Fazit des Verwaltungsgerichts also:

Bei den Rednern WÖLL und WORCH braucht man nicht zu befürchten, daß sie sich selbst bei einer Versammlung mit diesem Thema in ihren Reden strafbar machen beziehungsweise strafbare Inhalte äußern werden. Bei dem Redner HEISE ist das fragwürdig, bei den Rednern RIEGER , TEGETHOFF und WULFF muß man davon ausgehen, daß sie strafbare Inhalte äußern werden.

Jetzt sagt das Verfassungsgericht dazu:

„Angesichts der durch das spezifische Thema der Versammlung begründeten Erwartung, daß die Straftaten nach § 130 Abs. 3 StGB die Versammlung insgesamt prägen werden, ist auch die Einschätzung nicht offensichtlich fehlsam, daß Auflagen als milderes Mitetl gegenüber einem Versammlungsverbot ausscheiden.“

Hieße also:
Wenn man dem Gedanken des Verwaltungsgerichts folgen wollte, daß von den Rednern RIEGER, TEGETHOFF und WULFF Straftaten zu erwarten seien, von dem Redner HEISE vielleicht, aber von den Rednern WÖLL und WORCH nicht, dann würden seitens der Redner keine Straftaten zu erwarten sein, wenn man die Auflage erlassen würde, daß mindestens die Redner RIEGER, TEGETHOFF und WULFF nicht auftreten dürfen, möglicherweise auch der Redner HEISE nicht.

Vor vier Jahren klang das anders. Da hat nämlich die selbe 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts gesagt:

„Schließlich läßt sich eine das Versammlungsverbot rechtfertigende Gefahr für die öffentliche Sicherheit auch nicht im Hinblick auf einen der von dem Antragsteller benannten Redner herleiten. Dies folgt zunächst bereits daraus, daß etwaige speziell aus dem Auftritt des Redners resultierende Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch das mildere Mittel entsprechender Auflagen ausgeschlossen werden müßten.“ ( - 1 BvQ 12 / 02 - )

Das Verfassungsgericht widerspricht damit also seiner eigenen Rechtsprechung.

Lustigerweise war damals eine Demonstration gegenständlich, die das Thema „Bürgerrechte und Meinungsfreiheit auch im Sauerland“ hatte. Klingt fast ähnlich wie das in Mannheim. Aber eben nur fast – im Sauerland ging es nicht um Meinungsfreiheit von Revisionisten, sondern gegen polizeiliche Schikanen gegen ortsansässige Kameraden. Vielleicht ist das der Unterschied....

Juristisch ist also schwerlich nachvollziehbar, wie die 1. Kammer des Ersten Senats gegen ihren eigenen früheren Beschluß nicht argumentiert, sondern diesen schlicht und ergreifend mißachtet hat. Natürlich kann die Frage der aktuellen Besetzung einer dreiköpfigen Kammer dabei eine Rolle spielen. Im April 2002 ( - ! BvQ 12 / 02 - ) waren es der Senatspräsident (und damalige Vizepräsident des Gerichts) Papier und die Richter Steiner und Hoffmann-Riem. Jetzt ( - 1 BvQ 10 / 06 - ) waren es der Präsident (nunmehr sowohl Präsident des Senats als auch des ganzen Gerichts) Papier, die Richterin Hohmann-Dennhardt und der Richter Hoffmann-Riem. Also eine – wenngleich geringfügig – andere Besetzung der Kammer.

Indes kann ja nun die Einheitlichkeit der Rechtsprechung ein und des selben Gerichts (zumal das Höchstgericht) schwerlich davon abhängig sein, daß die Kammer einen geringfügigen Unterschied in der Besetzung aufweist. Das köntne ni vor-konstitutioneller Zeit beim Königlich Bayerischen Amtsgericht eine Rolle gespielt haben, sollte es aber nicht beim bundesdeutschen Höchstgericht.

Damit ist ein juristisch nachvollziehbarer Grund in der äußerst kurzen Begründung des Gerichts für mich nicht erkennbar.

Verständlich, daß unter solchen Umständen nach anderen Erklärungsmustern gesucht wird.

Der Anmelder ebenso wie eine an dem Verfahren beteiligte Rechtsanwältin meinten beide, es sei wohl das „besonders sensible Thema“.

Das ist durchaus möglich. Ich persönlich aber habe eine andere These.

Die Beobachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den letzten Jahren zeigt für mich eine Art von „Strickmuster“. Es kann auch sein, daß das Prinzip vom Häkeln übernommen ist – ich habe von diesen eher hausfraulichen Handarbeiten so wenig ahnung, daß ich nicht mal den Unterschied genau kenne. Aber von meiner Großmutter und meiner Mutter erfuhr ich in jungen Jahren, daß es da eine besondere „Masche“ gibt, die mit dem einfachen Spruch „ein‘ links, ein‘ rechts, ein‘ fallen lassen“ beschrieben wurde.

So ähnlich scheint es auch beim Verfassungsgericht auszusehen.

Vielleicht ist es der politische oder mediale Druck, dem sich die ansonsten von ihrem Status her ausgesprochen unabhängigen Höchstrichter bisweilen ausgesetzt sehen; oder es ist einfach eine psychologische Frage. Wie auch immer, es fällt auf, und fast könnte man es schon statistisch erfassen. Im April letzten Jahres, unmittelbar nach Inkrafttreten des neuen § 130 Abs. 4 StGB, gewann Gisa Pahl vor dem Verfassungsgericht gegen ein auf eben diesen § 130 Abs. 4 gestütztes Verbot eines Landkreises irgendwo in Vorpommern. Im August letzten Jahres verlor Jürgen Rieger in einer gleichartigen Sache gegen ein Verbot des Landrates Wunsiedel. Im Januar dieses Jahres gewann ich gegen das Verbot der Stadt Lüneburg, die eine Demonstration zur Abschaffung von § 130 StGB verboten hatte. Und im April dieses Jahres verliert Thomas Gerlach gegen ein höchst gleichartiges Verbot der Stadt Mannheim....

Da stellt sich irgendwann einmal die Frage, ob Recht zu bekommen nicht allmählich zu einem statistischen Phänomen wird und nicht mehr so sehr zu einem juristischen... ?

Oder läuft das dann wie auf einem Basar? – Wenn ich für mein altes Auto dreitausend Euro haben möchte, verlange ich fünftausend. Dann sagt mir der Kaufinteressent: Der Schrotthaufen ist doch höchstens tausend wert! – Ich gehe um tausend runter, er geht um tausend rauf. Ich gehe noch mal um fünfhundert runter, er geht noch mal um fünfhundert hoch; und dann treffen wir uns bei den dreitausend, die ich von vornherein haben wollte (und die er vielleicht von vornherein zu bezahlen bereit war)?

Aber das kann’s ja eigentlich irgendwo nicht sein – selbst in einem materialistisch-kapitalistisch ausgerichteten System sollten Grundrechte ein wenig wichtiger sein als die Frage, was man nun für ein altes Auto am Markt kriegen kann.

Also werden wir künftig vielleicht einfach doppelt so viele Demonstrationen anmelden, wie wir eigentlich durchführen wollen, damit wir hinterher tatsächlich so viele Demonstrationen durchführen können, wie wir wollen. Oder vielleicht lieber noch ein, zwei mehr, weil beim Stricken oder Häkeln ja schließlich auch mal ‚ne Masche runterfällt. Und dann heißt es nicht: „Links, zwo, drei, vier....“, sondern dann heißt es: „ein‘ links, ein‘ rechts, ein‘ fallen lassen.“

Christian Worch


 Zur Startseite