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Aufsatz

Der 129-er Angriff


Gliederung:

1. Die Norm
2. Anmerkung zur Norm
3. Historisch
4. Beispielsfälle (fiktive)
5. Ein Ausflug ins Versammlungsrecht
6. Der Fall des AB Mittelrhein
7. Das Koblenz-Syndrom


Teil 1: Die Norm


§ 129
Bildung krimineller Vereinigungen

(1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit
darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, oder wer sich an einer
solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, für sie um Mitglieder oder
Unterstützer wirbt oder sie unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden,
1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das
Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
2. wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit
von untergeordneter Bedeutung ist oder
3. soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach
den §§ 84 bis 87 betreffen.

(3) Der Versuch, eine in Absatz 1 bezeichnete Vereinigung zu gründen,
ist strafbar.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern oder liegt
sonst ein besonders schwerer Fall vor, so ist auf Freiheitsstrafe von
sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen; auf Freiheitsstrafe von
sechs Monaten bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Zweck oder
die Tätigkeit der kriminellen Vereinigung darauf gerichtet ist, in §
100c Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a, c, d, e und g mit Ausnahme von Straftaten
nach § 239a oder § 239b, Buchstabe h bis m, Nr. 2 bis 5 und 7 der
Strafprozessordnung genannte Straftaten zu begehen.


(5) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren
Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach
den Absätzen 1 und 3 absehen.

(6) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs.
2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der
Täter
1. sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der
Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat
zu verhindern, oder
2. freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart,
daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können;

erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu
verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht
bestraft.


Teil 2: Anmerkungen zur Norm:

Es liegt auf der Hand, daß § 129 StGB kein "scharfes Schwert" gegen
schwerkriminelle Vereinigungen sein kann, sondern allenfalls gegen
mittelschwer oder gar nur geringfügig kriminelle Vereinigungen wirksam
sein kann. Eine schwerkriminelle Vereinigung könnte beispielsweise eine
"klassische" Bankräuberbande sein. Für bewaffneten Raubüberfall würde
jedes Bandenmitglied schon eine Mindeststrafe von fünf Jahren bekommen,
§ 250 Abs. 2 StGB. Welche Strafdrohung hat dann die "Mitgliedschaft in
einer kriminellen Vereinigung", wenn deren Höchststrafe gleichzeitig die
Mindeststrafe für das begangene Delikt ist? Ein Mörder, ein Totschläger,
ein bewaffneter Räuber kann über so was nur lachen.

Unter Teil 3 - historische Fälle - wird es dazu ein gutes Beispiel geben.

Die Norm ist unter Juristen und Bürgerrechtlern umstritten. Dies liegt
auch daran, daß sie unproportional oft gegen politische Vereinigungen
angewandt wird. Die Anwendung gegen Parteien ist nicht zulässig, siehe
Absatz 2 Nr. 1. Dieses Privileg betrifft aber nicht andere politische
Vereinigungen wie Bürgerinitiativen, Wählergemeinschaften (die sich
ausdrücklich als Wählergemeinschaften und nicht als politische Parteien
formiert haben) oder sonstige politische Vereine, Aktionsgruppen und
dergleichen. Diese müssen nicht speziell "links" oder "rechts" sein,
sondern es könnten auch militante Umweltschützer, militante Tierschützer
oder militante Lebensschützer sein.

Ermittlungsverfahren wegen Verstoß gegen § 129 sind selten. 1998 waren
es bundesweit 11, 1999 waren es 36, im Jahre 2000 waren es 20. Anklagen
und Verurteilungen waren dabei die Ausnahme. 1998 waren es 1, 1999 waren
es 3,
2000 waren es null. Man sieht, im Durchschnitt führt nicht einmal jede
zehnte


Ermittlung wegen § 129 StGB zu einer Verurteilung.

Zahlen zitiert aus:

Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, Verlag C.H. Beck, 54. Auflage, München
2007, Rdnr. 4 zu § 129, mit dortigem weiteren Verweis auf: Antwort der
Bundesregierung, Bundestags-Drucksache Nr. 14/5687 vom 28.3.2001.)

Warum dann überhaupt solche Ermittlungen?

Auch darauf gibt der sogenannte "Standard-Kommentar" zum StGB
(Tröndle/Fischer) eine Antwort. Nämlich wegen der besonderen
strafprozessualen Möglichkeiten, die der Verdacht eines solchen Delikts
eröffnet. Bei den Einzelstraftaten, deren Summierung die "kriminelle
Vereinigung" ausmachen sollen, darf man meist nicht von diesem
verschärften Instrumentarium Gebrauch machen. Dazu gehören nämlich:
Rasterfahndung; Überwachung des Fernmeldeverkehrs; Abhören und
Aufzeichnen von Gesprächen im Rahmen von Wohnraumüberwachung, der
sogenannte "Große Lauschangriff", oder der Einsatz verdeckter Ermittler.

Klar, daß die Strafverfolgungsbehörden darauf nicht verzichten mögen.
Der feuchte Traum der meisten Staatsanwälte und Polizisten!

Und klar, daß die relativ exzessive Anwendung dieser Vorschrift bei
gleichzeitig höchst geringer Verurteilungszahl offenbar weniger dem
Schutz von Rechtsgütern dient sondern mehr dazu, die Mittel eines
Polizeistaates anzuwenden. Wobei es bezeichnend ist, daß dies häufiger
gegen politisch motivierte Gruppen geschieht als gegen Kleinkriminelle.
Und bei Schwerkriminellen mit Blick auf das Strafmaß ohnehin völlig
wirkungslos ist!



Teil 3 - Historie

Der erste Fall:

Der erste mir bekannte Fall der Anwendung von § 129 StGB "gegen rechts"
erfolgte im berühmten "Bückeburger Wehrwolfprozeß" im Jahre 1979.
Angeklagt waren Uwe Rohwer, Manfred Börm, Dieter Puls, Lutz Wegner,
Lothar Schulte und Michael Kühnen. Kühnen wurde nur wegen seiner
Propagandadelikte verurteilt; nicht wegen Gewalttaten oder Beteiligung
daran, und mithin auch nicht wegen "Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung". Die anderen wurden wegen folgender Delikte verurteilt:
Schulte und Wegner hatten - anfangs allerdings zu zweit und damit noch
keine "Vereinigung" - einen Kaufmann überfallen und Jagdwaffen und Geld
erbeutet;


sie hatten eine Kaserne der Bundeswehr überfallen und ein Sturmgewehr G
3 erbeutet; möglicherweise hatten sie auch noch zu zweit eine Bank
überfallen.
Die beiden zusammen mit Dieter Puls haben mindestens eine weitere Bank
überfallen, möglicherweise mehr als eine.

Letztlich wurde die Gruppe um Uwe Rohwer und Manfred Börm verstärkt, und
zu fünft machte sie ihre spektakulärste Aktion: Einen Waffenraub auf dem
NATO-Truppenübungsgelände in Bergen-Hohne, wobei vier niederländische
Nato-Soldaten überfallen und ihre Maschinenpistolen Typ "Uzi" geraubt
wurden.

Danach erfolgte der Zugriff, und zu weiteren Aktionen der Gruppe kam es
nicht mehr.

Schulte, Wegner, Puls und Rohwer wurden wegen "Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung" (§ 129 a) verurteilt, Manfred Börm, der
lediglich an der letzten Aktion, dem Waffenraub, beteiligt gewesen war,
"nur" wegen "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" (§ 129).

Angesichts der Raubdelikte gab es für die fünf Verurteilten Haftstrafen
zwischen elf und sieben Jahren. Von der Urteilshöhe her dürfte sich die
Verurteilung wegen § 129 StGB für Manfred Börm gegenüber dem Urteil
wegen bewaffneten Raubes wirklich nicht ausgewirkt haben!

Der zweite Fall:

Nach 1979 hörte ich lange nichts mehr davon, daß gegen eine rechte
Gruppierung § 129 StGB angewandt worden ist. Was natürlich nicht heißt,
daß das nicht geschehen ist. Man darf nicht vergessen, daß in den 80-ern
und 90-ern es noch kein Internet gab und mithin weit weniger Zugriff auf
Informationen als heute.

Der nächste Fall, von dem ich hörte, war der der Musikgruppe "Landser".
Die Musiker wurden 2005 nicht nur wegen konkreter Straftaten
(Volksverhetzung etc.) verurteilt, sondern auch als "kriminelle
Vereinigung". Es könnte sein, daß damit erstmalig in der
Rechtsgeschichte der BRD eine Musikgruppe als "kriminell" verurteilt
wurde. Ob sich das aber auf die Urteilshöhe erkennbar ausgewirkt hat,
ist für mich zweifelhaft.


Der dritte Fall:

Als nächstes gab es die Razzia gegen das "Widerstands-Radio", bei der
spektakulär bundesweit durchgeführten Razzia wurden etwa 30 Wohnungen
durchsucht und eine Reihe von Leuten in Untersuchungshaft genommen. Die
späteren Verurteilungen (übrigens auch vor dem Landgericht Koblenz wie im


Falle des Prozesses gegen das AB Mittelrhein!) waren allerdings nicht
sonderlich dramatisch. Der Prozeß wurde geteilt. Im April 2011 wurde
gegen 18 Männer verhandelt, die als Rädelsführer galten. Sie wurden
verurteilt, und acht von ihnen legten hiergegen Revision zum
Bundesgerichtshof ein. In einer zweiten Runde wurden im Januar 12
Angeklagte zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Gerüchteweise hörte ich, der Bundesgerichtshof habe die ersten Urteile
soweit aufgehoben, als es die "Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung" betroffen habe. Konkretere Informationen hierzu liegen aber
leider noch nicht vor.

Der vierte Fall:

Der vierte mir bekanntgewordene Fall datiert chronologisch früher, fand
seinen -vorläufigen - gerichtlichen Abschluß aber deutlich später.
Mitglieder eine Skinhead-Gruppe aus Sachsen, Sturm 34, waren angeklagt,
gemeinschaftlich (in wechselnder Zusammensetzung) Linke und andere
mißliebige Mitmenschen verprügelt zu haben. Es gab Urteile, gegen die
die Staatsanwaltschaft Revision einlegte, weil das Landgericht der
ersten Instanz die Betroffenen zwar verurteilt hatte, aber nicht, wie
die Staatsanwaltschaft wünschte, wegen "Mitgliedschaft in einer
kriminellen Vereinigung". Die Staatsanwaltschaft war damit erfolgreich.
Dieser Tage wurde eine Handvoll Betroffener von einer anderen Kammer des
Landgerichts verurteilt. Zwar lautete das Urteil antragsgemäß nicht nur
auf Körperverletzung und dergleichen, sondern auch auf "kriminelle
Vereinigung". Aber trotzdem gab es nur Bewährungsstrafen zwischen einem
halben Jahr und zwei Jahren. Daß die Strafen relativ niedrig ausfielen,
hängt damit zusammen, daß zwischen Tatbegehung und Verurteilung ein sehr
lange Zeitraum (rund acht Jahre) lag, das wirkt sich nach herrschender
Rechtssprechung grundsätzlich strafmildernd aus, weil der Angeklagte
bzw. spätere Verurteilte während dieser ganzen Zeit ja unter Streß steht
und nicht weiß, ob oder für wie lange ihm ein Gang ins Gefängnis bevorsteht.

Der fünfte Fall

ist nicht mehr historisch, sondern der, der diesen Aufsatz ausgelöst
hat: Der des "AB Mittelrhein".



Teil 4: Fiktive Beispielsfälle

Erster Fall:

Nehmen wir an, meine beiden Vettern und ich hassen
Gebrauchtwagenhändler. Der ältere Vetter, weil ein Gebrauchtwagenhändler
betrunken seine Tochter totgefahren hat. Der jüngere Vetter, weil ein
anderer Gebrauchtwagenhändler ihn
um den größten Teil seines Vermögens betrogen hat. Und ich, weil mir ein


wieder anderer Gebrauchtwagenhändler die Frau ausgespannt hat.

Einig in unserem Haß, entschließen wir uns, möglichst vielen
Gebrauchtwagenhändlern auf unterschiedliche Weise zu schaden.

Wir dringen auf den Hof von A vor und stechen die Reifen von 20 dort zum
Verkauf stehenden Autos auf.

Weil Bs Hof nachts von einem scharfen Hund bewacht wird, vergiften wir
das arme Tier.

C lauern wir auf dem Nachhauseweg auf und verprügeln ihn, so daß er mit
gebrochener Kinnlade ins Krankenhaus muß, was sehr weh tut.

Bei D werfen wir die Scheiben seines Wohnhauses ein.

E hat nachts Rollos vor den Fenstern, aber in seinem Vorgarten blühen
sehr schöne Rosensträuche; wir wissen, daß er ein begeisterter
Rosenzüchter ist. Also schütten wir um die harmlosen Sträucher ein paar
Kilo Salz aus, woraufhin diese verwelken.

Und auf diese verbrecherische Weise machen wir weiter, bis uns die
Polizei erwischt.

Damit sind wir - wenn unser gemeinsamer Wille feststellbar ist - wohl
ziemlich eindeutig eine kriminelle Vereinigung. Wir sind mehr als zwei,
wir haben uns zum Zwecke dauerhafter Begehung von Straftaten
zusammengeschlossen, und wir haben uns dem Willen unserer Vereinigung,
eben diese Straftaten zu begehen, untergeordnet.

Jetzt der zweite Fall:

Meine beiden Vettern und ich haben nix gegen Gebrauchtwagenhändler, weil
wir selbst welche sind. Wir betreiben gemeinsam eine kleine Klitsche, in
der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Nur läuft das
Geschäft auf der Automeile nicht gut. Also beschließen wir, unsere
Kollegen zu schädigen, um sie möglichst aus dem Geschäft beziehungsweise
dem Umfeld unseres Hofes zu vertreiben und somit bessere Geschäfte
machen zu können.

Wir dringen nachts auf den Hof von A vor.... und so weiter und so fort.

Wir tun exakt das gleiche wie im Beispielsfall eins, aber sind wir dann
auch eine kriminelle Vereinigung?

Nein, denn die Begehung dieser Straftaten ist nicht Hauptzweck unserer


Vereinigung; es ist ein Zweck von untergeordneter Bedeutung, auch wenn
er unseren Hauptzweck - durch Verkauf von Gebrauchtwagen unseren
Lebensunterhalt zu bestreiten - fördern soll.

Wenn zwei - hier: drei! - das gleiche tun, dann ist es noch lang nicht
das gleiche! (Original: Quod licet jovi, non licet bovi; "was dem
höchsten der Götter erlaubt ist, darf das Rindvieh noch lange nicht tun".)

Das ist der möglicherweise bedeutsame Unterschied.


Teil 5: Ein Ausflug ins Versammlungsrecht

Klar, werden erfahrene Leser sagen, muß ja kommen; DAS ist sein
Lieblingsgebiet; da fühlt er sich nicht nur sicher, sondern so gut wie
allen überlegen; also liegt es auf der Hand, daß er so ein Beispiel wählt.

Warum ist eigentlich egal; wichtig ist, daß es paßt!

Bei einer Demonstration von 100 Teilnehmern gehen 51 Teilnehmer auf
Protestierer und Gegendemonstranten los, verprügeln sie, schmeißen
Flaschen oder Steine, schlagen mit Fahnenstangen oder "vorsorglich"
mitgebrachten Baseballschlägern um sich und malträtieren eingesetzte
Polizeibeamte mit Polenböllern, damit diese ein Knalltrauma erleiden.

Dann kann man eindeutig sagen, daß diese Demonstration unfriedlich
verlaufen ist; immerhin haben sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer an
Ausschreitungen beteiligt.

Jetzt haben wir aber eine Demonstration mit tausend Teilnehmern, von
denen sich exakt 51 gewalttätig benehmen, weil sie die geifernden Linken
einfach nicht mehr ertragen; also auf sie losgehen, sie verprügeln,
Flaschen und Steine werfen und so weiter und so fort.

Damit ist die Demonstration noch lange nicht gewaltättig verlaufen. Eine
zahlenmäßige Minderheit - die bei einer Wahl mit Mühe reichen würde, um
in ein Parlament zu kommen - war gewalttätig, aber nicht die ungefähr
zwanzigfach größere Zahl an Demonstranten, die sich an diesen
Ausschreitungen nicht beteiligt haben.

Und jetzt zu Punkt 6, zum AB Mittelrhein



Teil 6: das Aktionsbüro Mittelrhein


Das AB Mittelrhein hieß ursprünglich wohl mal "Aktionsgruppe" und war
eine Kameradschaft wie bundesweit ungefähr 160 andere.

Aufgrund von Verboten anderer Kameradschaften benannte sich die
"Aktionsgruppe" in "Aktionsbüro" um, weil sie wohl dachten, dann sei es
schwieriger, sie zu verbieten .Was übrigens ein Irrtum ist. Im Jahre
2000 wurde in Hamburg sogar der "Hamburger Sturm" verboten, der nun
keine Kameradschaft oder dergleichen war, sondern eine Zeitschrift
beziehungsweise die diese Zeitschrift machende Redaktion...

Nun hatte das "Aktionsbüro" beziehungsweise hatten seine Mitglieder das
Pech, im Einzugsbereich eines etwas übereifrigen - zumindest "gegen
rechts" übereifrigen - Oberstaatsanwalts zu sein, nämlich eines Herrn
Schmengler.

Herr Schmengler nahm Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer
kriminellen Vereinigung auf.

Zunächst einmal mag es ihm dabei um die "besonderen prozessualen
Möglichkeiten" gegangen sein, die in Teil 2 beschrieben sind. Außerdem
hört sich das in den Medien immer besonders drastisch an, wenn von einer
"kriminellen Vereinigung" die Rede ist. Kann man besser kriminalisieren
als mit diesem Begriff?! Daß - siehe wieder Teil 2 - gerade mal
durchschnittlich ein Zehntel solcher Verfahren dann auch zu Anklage oder
gar Verurteilung führen, weiß der normale Zeitungsleser, Rundfunkhörer
und Fernsehzuschauer natürlich nicht. Wer hat schon einen Kommentar zum
Strafgesetzbuch in seinem Bücherschrank stehen? Und selbst von denen,
die einen haben, lesen die wenigsten das Kleingedruckte.

Am 13. März 2012 war es so weit. Es gab so ungefähr 33 Durchsuchungen,
und 23 von 24 Haftbefehlen wurden vollstreckt. Deshalb wird intern auch
von den "Koblenz 23" gesprochen. Das ist eine bewußte sprachliche
Anlehnung an die nigerianischen "Ogomi nine" um den damals in Nigeria
sehr beliebten Schriftsteller Ken Saro-Wiva. Die "Ogomin nine" waren
Oppsitionelle gegen die Militärregierung, die wegen Mordes angeklagt,
verurteilt und trotz internationaler Proteste hingerichtet wurden. Man
geht in Diplomaten- und Juristenkreisen davon aus, daß es kalter
Justizmord war, nicht anders als im stalinistischen Rußland oder wie man
es vor allem auch dem nationalsozialisten Deutschland - vor allem der
Kriegszeit - gern vorwirft.

Bei den Angehörigen des AB Mittelrhein werden wir es wohl nicht mit
Justizmord zu tun haben, weil die Todesstrafe in der BRD abgeschafft
ist, aber der Versuch von Kriminalisierung, Einschüchterung und privater
Existenzvernichtung muß gesehen werden.

Was hat das AB nun getan?


Eigentlich nicht viel mehr als die meisten Kameradschaften.

Man hat eine Netzseite gehabt, die relativ oft aktualisiert wurde;
binnen rund vier Jahren knapp 400 Beiträge. Man hat Aufkleber
hergestellt und verbreitet. Man hat T-Shirts gedruckt, in Szene-Kreisen
auch gelegentlich ein wenig altertümelnd als T-Hemden bezeichnet. Man
hat für die NPD Plakate aufgehängt und hat sie - in Nachsorge des
Wahlkampfes - auch wieder abgehängt. Alles ganz legale Dinge.

Dann hat man auch ein paar Dinge gemacht, die nicht legal waren.
Brückenpfeiler mit der Aufschrift "www.aktionsbüro-mittelrhein,info"
bemalt. Die Aufschrift ist nicht illegal, aber die Bemalung an sich. Sie
zu beseitigen hat die örtliche Gemeinde so ungefähr 400 oder 500 Euro
gekostet... Etwas strafwürdiger als diese Sachbeschädigung war
vielleicht, daß man auch mal ein Hakenkreuz auf die Straße gemalt hat;
der Strafrahmen dafür ist bekanntlich ein wenig höher.

Und dann durfte natürlich die Gewalt nicht fehlen.

Gewalt kommt immer gut an, wenn man etwas dramatisieren möchte.

Dem AB Mittelrhein werden nach bisheriger Auswertung der Akten - die
wegen des gewaltigen Umfanges noch lange nicht abgeschlossen ist! - vier
Gewalttaten binnen etwa zweier Jahre vorgeworfen.

Bei einer der Dresden-Demonstration war es noch nicht richtig deftig; da
wurden bei einem Zusammentreffen mit linken Kräften hölzerne Stöcke in
die Menge geworfen. Bei einer anderen Gelegenheit war es wohl ein
richtiger Landfriedensbruch; Auseinandersetzungen im Umfeld des linken
Wohnprojekts "Praxis" in Dresden. Man warf Steine auf Fenster und
Fassade und versuchte die Tür einzutreten. Von Personenschaden ist
nichts bekannt. Unklar ist auch, wer die Auseinandersetzungen überhaupt
begonnen hatte, denn aus dem Haus flog auch eine Rakete
(Feuerwerksrakete). Ein weiterer Fall war ein Landfriedensbruch vor
einem Kino - wenn es Landfriedensbruch war. Zwischen 15 und 30 Leute vom
Aktionsbüro wollten sich einen linken Film im "Cinemaxx" anschauen. Sie
bekamen vom Veranstalter Hausverbot und wurden von drei Security-Leuten
und einigen Linken aus der Vorhalle herausgedrängt. Dabei begann
irgendwer - unklar, von welcher Seite - Pfefferspray zu sprühen, worauf
von beiden Seiten noch mehr Leute das Zeugs sprühten; so intensiv, daß
die deutlich später eintreffende Polizei den Reizstoff noch riechen
konnte. Die Gruppe des AB Mittelrhein wurde aus der Vorhalle gedrängt;
allerdings wurde einer von ihnen von den Security-Leuten und den Linken
festgehalten. Da die ABler keinen Kameraden zurücklassen wollten,
versuchten sie anschließend, das Kino zu stürmen. Es wurden Steine auf
die Fenster geworfen, die nicht einmal Sachschaden anrichteten. (Ja, die
modernen Werkstoffe! Es ist gar nicht


mehr so leicht, mit einem Stein ein Fenster einzuwerfen! Das liest man
auch an anderer Stelle in den Akten, wo vier Steine auf die Fenster
eines von Linken bewohnten Hauses geworfen wurden, von denen lediglich
zwei die Scheiben durchschlugen.) - Ob der Vorgang nun Landfriedensbruch
ist oder gerechtfertige Nothilfe zur Befreiung eines Mannes, der
möglicherweise Opfer einer Freiheitsberaubung war, wird eine
Hauptverhandlung irgendwann mal ergeben. Festzuhalten ist, daß auch bei
diesem Vorgang niemand ernstlich verletzt wurde; außer daß ein paar
Leute Reizungen durch das Pfefferspray hatten. Was zwar unangenehm ist,
aber deutlich weniger dramatisch, als wenn jemandem ein Stein an den
Kopf fliegt oder ein anderer ihm mit einer Eisenstange auf den nämlichen
Kopf haut.

Verletzte gab es allerdings, als ungefähr ein Dutzend Leute - wohl
mindestens teilweise vom AB Mittelrhein - bei einer eher zufälligen
Begegnung zwei Linke verprügelten.

Und dann war da noch ein anderer Vorgang, wo man versuchte, die Linken
in die Falle zu locken. Eine kleine Gruppe von Flugblattverteilern
präsentierte sich als "Angriffsobjekt". Von einem nahegelegenen
Infostand kamen zehn Linke, bereits vermummt, um diese
Flugblattverteiler "zu konfrontieren", wie es in verharmlosendem linken
Sprachgebrauch heißt. Die linken müssen sehr unangenehm überrascht
gewesen sein, als aus den Seitenstraßen auf das Signal einer
Trillerpfeife hin plötzlich bei vierzig Kameraden kamen. Zu einer
richtigen Schlägerei kam es aber nicht, weil auch ein paar
Zivilpolizisten in der Nähe waren, die sich dazwischenwarfen und sogar
einen der ABler festnahmen. Da die Zivilpolizisten nur zu fünft waren,
kann es mit der Militanz der ABler nicht sonderlich weit her gewesen
sein, weil diese sonst ja wohl imstande gewesen wären, sich gegen zehn
Linke und fünf Kripo-Leute gleichzeitig durchzusetzen, mit ihrer rund
dreifachen Übermacht.

Das ist nun wirklich nicht fett!

Auch nicht sonderlich fett sind Anti-Antifa-Aktionen, die vom AB
Mittelrhein begangen worden sind, teilweise als sogenannte "reaktive
Straftaten". Eine reaktive Straftat ist, wenn nachts jemand mein Auto
platt macht, der höchstwahrscheinlich ein Linker ist, und in der
nächsten Nacht ich das Auto eines Linken platt mache, unbeschadet des
Umstandes, ob der der Täter der Sachbeschädigung zu meinem Nachteil war
oder nicht. Natürlich ist meine Handlung dann rechtswidrig. Und es ist
ein wenig ungerecht, daß ich, wenn ich erwischt werde, dafür verurteilt
werde, aber der mutmaßliche Linke, der vorher mein Auto platt gemacht
hat, nicht erwischt wird und folglich nicht verurteilt wird. Aber so ist
nun mal das Leben. Daß es eine "reaktive Straftat" war, wird in jedem
Fall strafmildernd gewertet. Eher, als wenn es eine "aktive" Straftat
war, also ohne äußeren Anlaß, nur so, weil ich Linke nicht mag.


Die Jungs (und eventuelle Mädels?) vom Aktionsbüro haben in ungefähr
zehn Fällen Sachbeschädigung zum Nachteil von bekannten Linken begangen,
sagt die Anklage. Meist handelt es sich um aufgestochene Reifen; einmal
wurden zusätzlich an einem Opel Astra Kombi alle Scheiben außer einer
Kofferraumscheibe eingeschlagen. Einmal gab es sogar eine versuchte
Brandstiftung, indem man einen Esbit-Würfel auf den Reifen legte und
diesen anzündete. Entwickelt sich der Brand, kann erst der Reifen Feuer
fangen und letztlich möglicherweise sogar das ganze Auto. In dem Fall
löschten zufällige Beobachter das Feuer, bevor es Schaden anrichten
konnte; offenbar war noch nicht mal der betroffene Reifen kaputt. Ich
kenne das aus Erfahrung. Die Linken haben es mit mir auch mal gemacht,
aber der Esbit-Würfel ging von selber aus, die Reifendecke war
angekokelt, aber der Reifen hatte noch Luft.

Als besonders perfide wertet die Staatsanwaltschaft, daß man
systematische Aufklärungsarbeit betrieben habe, indem man wegen
möglicherweise gar nicht begangenen Delikten Strafanzeige gestellt habe,
um auf dem Weg der Akteneinsicht die Namen und Anschriften der
Betroffenen herauszubekommen, um dann gegen sie vorzugehen.

Und natürlich auch, daß jemand bei Demonstrationen Filmaufnahmen von
Linken gemacht habe...

Auch das alles ist nicht wirklich fett.

Bei einer Grobübersicht bleibt festzustellen, daß dem Personenkreis, der
dem AB Mittelrhein zugerechnet wird oder vielleicht sogar beweissicher
zugerechnet werden kann, ungefähr zwanzig bis dreißig Straftaten
begangen haben soll; die gravierendste davon eine Brandstiftung sowie
zwei oder drei Landfriedensbrüche. Das ist nicht sonderlich viel.

Für eine "kriminelle Vereinigung" würde es allerdings ausreichen, wenn
diese Aktivitäten der einzige oder zumindest der Hauptzweck der
Vereinigung gewesen wären.

Es liegt aber auf der Hand, daß das im Falle des AB Mittelrhein nicht so
war. Allein statistisch waren die möglicherweise begangenen Straftaten
untergeordnet, nebensächlich, teilweise "reaktiv", weil man selbst Opfer
von Straftaten geworden war und sich nicht darauf verlassen konnte, daß
die zuständigen Behörden die Täter in angemessener Weise verfolgten.

Die Anklage ist daher, was § 129 StGB betrifft, ohne Chance.



Teil 7: Das Koblenz-Syndrom


Gleichviel macht sie aus der Sicht der Machthaber Sinn. Mir persönlich
ist durchaus in Erinnerung, wie am späten Nachmittag des 13. März der
bereits erwähnte Oberstaatsanwalt Schmengler süffisant auf einer
Pressekonferenz sagte, werde erst einmal zwei Monate lang nicht die
Miete gezahlt, habe sich das "braune Haus von Ahrweiler" von selbst
erledigt. Dieses "Braune Haus", dessen Fassade eher lehmgelb und nicht
braun ist, war sozusagen das Hauptquartier des AB Mittelrhein, eine Art
nationales Wohnprojekt, eine Wohngemeinschaft, wie man sie seit den
späten 60-er Jahren aus linken Kreisen kennt.

Der Hauptzweck ist, Menschen ein paar Monate in Haft zu halten, sie aus
ihren sozialen Zusammenhängen herauszureißen, sie einzuschüchtern.

Dies ist am besten erkennbar am Falle des ältesten Betroffenen: Ein 55
jähriger Arbeiter, der als Mitglied oder Sympathisant der Gruppe die
Aufgabe hatte, die Lautsprecheranlage zu warten und instandzuhalten.
Diese Lautsprecheranlage wurde bei angemeldeten, friedlichen und damit
völlig legalen Demonstrationen eingesetzt. Mehr hat der Mann nicht
getan. Er hat keine Steine geworfen, er hat keine Leute verprügelt, er
hat keine Autoreifen abgestochen, keine Hakenkreuze aufs Pflaster gemalt
oder irgendeine andere rechtswidrige Tat begangen. Trotzdem sitzt er
seit nahezu vier Monaten in Haft!

Auch gegen die anderen wäre ohne den Vorwurf der "kriminellen
Vereinigung" schwerlich ein Haftbefehl zu bekommen und so lange
aufrechtzuerhalten.

Würde man die bisherigen Haftzeiten aller zur Zeit noch 21 Betroffenen
zusammenrechnen, sind bisher rund sechseinhalb Jahre abgesessen worden.
Dafür kann man schon eine Bank überfallen oder jemanden erschlagen,
sofern es nicht Mord ist, sondern nur Totschlag. Das nur mal, um die
Dinge in eine Relation zu setzen.

Die Reaktion des politisch rechten Lagers auf diesen Justiz-Skandal war
bisher allerdings eher lau. Am Tag der Razzia gab es abends eine
kurzfristig angemeldete Demonstration in Dortmund mit knapp 100
Teilnehmern. Anderthalb Wochen später gab es noch Protestkundgebungen,
an denen in Dortmund und Wuppertal zusammen rund 100 Menschen
teilgenommen haben und an einigen weiteren Orten im ganzen Land
vielleicht unter dem Strich noch mal ähnlich viele. Und das war dann
schon alles.

Auch wenn vor Gericht die Mammut-Anklage mit ihren 926 Seiten letztlich
scheitert, soweit es die "kriminelle Vereinigung" betrifft, politisch
war die Staatsanwaltschaft Koblenz mit diesem Rechtsmißbrauch bereits
jetzt erfolgreich. Weil die Empörung darüber und der Protest dagegen
eher ein laues Lüftchen war als ein ausgewachsener Sturm.

Und deshalb wird sich das künftig wiederholen. Das Koblenz-Syndrom hat das


Potential zu einer ansteckenden Krankheit, zu einer Seuche, die sich
ausweiten wird.

Besonders, wenn wir nicht mal imstande sind, den Anfängen zu wehren.

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